Nocturnal Culture Night 2014

Kurz nachdem die letzten Klänge eines stimmungsvollen und umjubelten Auftritts der norwegischen Band „Apoptygma Berzerk“ verklungen sind, erhalten auch traditionell die Verantwortlichen des dreitägigen Nocturnal-Culture-Night-Festivals den gebührenden Applaus. Der Blick des Hauptverantwortlichen – Holger Troisch – richtet sich bereits ins nächste Jahr, in dem die 10. Ausgabe des „Familienfests“ stattfinden soll. Doch schauen wir zuerst – durchaus ein wenig wehmütig – zurück auf drei wundervolle Festivaltage, an denen es viel zu sehen, zu hören und zu erleben gab.

05. - 07. September 2014

DEUTZEN, KULTURPARK

Bereits am Freitag – kurz nach Öffnung des Geländes – war klar: Das diesjährige NCN wird sehr, sehr gut besucht werden. Die Parkplatztickets waren ausverkauft, weswegen nicht nur wir uns einen Platz in einer der angrenzten Straßen im eher beschaulichen und ruhigen Wohngebiet suchten. Probleme schien dies aber nicht zu bereiten. Im Gegenteil: Anwohner, die es sich auf Bänken vor den Häusern gemütlich gemacht hatten, grüßten freundlich, beobachteten das Treiben interessiert und sahen dies als willkommene Abwechslung zum Alltag. Eine Art „Wacken en Miniature“.

Durch die Beschaffenheit des Kulturparks sollte der große Besucherzuspruch kein Problem werden. Insbesondere der Bereich vor der großen Bühne – eine von mittlerweile vier Bühnen – erfreut das Publikum: Der Zuschauerbereich präsentiert sich hier ähnlich eines Amphitheaters, wodurch man auch zu späterer Stunde – wenn sich das Gelände gefüllt hat – die Auftritte der bekannten Künstler nicht nur akustisch, sondern auch visuell verfolgen kann.

Begrüßenswert ist die bereits teilweise vorhandene Lösung, den Händlern einen eigenen, bisher ungenutzten Bereich – auf einem Weg außen um den Bereich der großen Bühne herum – zu geben. Diese Idee sollte unbedingt ausgebaut werden. Waren die Schattenplätze rechts und links von der großen Bühne doch auch immer recht beliebt, genauso wie der kleine Mittelaltermarkt. Altes Handwerk, rustikales Speisenangebot und heiße Schokolade. Die dargebotene Feuerschau beeindruckte. Und auf Stelzen gehende märchenhafte Wesen ließen Kinder zwischen Neugier und Bange schwanken.

Fotografien schmückten die Wände, die den Festivalbereich und den Mittelaltermarkt, der auch ohne Eintrittskarte besucht werden konnte, trennten. Die Aufnahmen zeigten die Leere Tschernobyls. Einem einzigartigen „Lost Place“. Bilder, die mahnten. Bedrückende Ansichten. Noch immer sind Böden in bayerischen Grenzgebieten radioaktiv belastet. Vom Verzehr hier gewachsener Pilze ist teils abzuraten. Und der Ukraine fehlt das Geld, um die Arbeiten an der dringend benötigten stählernen Hülle für den undichten Reaktor voranzutreiben. Düstere Zukunftsaussichten, die sich letztendlich in den Fotoaufnahmen widerspiegeln.

Der gewohnte und lieb gewonnene Rahmen für Konzerte, Lesungen und Modenschauen. Sitzgelegenheiten wie Steinmäuerchen, Bänke, Zierpflöcke und Wiesen wurden nicht nur von uns genutzt, um Rücken und Füßen eine kurze Erholung zu gönnen. Bäume, vor allem Weiden, und viel rustikales Weidengeflecht verbreiten Ferienlager-Flair (wie Herr von Aster bemerkte). Tatsache ist, dass sich in diesem Ambiente die Besucher mehrheitlich in einer freundlichen Stimmung befanden.

Doch was wären die besten Rahmenbedingungen ohne die Künstler, die für unterschiedlichste Stimmungen sorgten? Stimmungen zwischen melancholisch in sich gekehrt und ausgelassen feiernd. Neuentdeckungen, Altbekanntes und Überraschendes. Musiker, deren leidenschaftliche Auftritte und deren Talente begeisterten. Beispielsweise die noch recht unbekannte Monica Jeffries, die mit ihrer Stimme und ihrer ruhigen Art zur Mittagszeit überzeugen konnte. Oder das imponierende Projekt von Ashley Dayour: „The Devil And The Universe“ waren mit ihrer rhythmisch orientierten, fast gesangslosen Musik – irgendwo zwischen Wave und Ambient – doch so erfrischend anders.

The Devil And The Universe

Oder der mitreißende Gothic Rock von „Still Patient?“, die nach 13 Jahren Pause erst 2012 neu gegründet wurden. Eine durchaus gute Entscheidung, die das Publikum mit viel Beifall honorierte.

Oder Welle: Erdball, die in gewohnter Perfektion mit deutschen Texten und der minimalistischen Reminiszenz an den Commodore C64 für Freude sorgten. Als die obligatorischen großen weißen Luftballons ins Publikum geworfen wurden, zeigte sich wieder, wie viel Kind in so manchem Schwarzgekleideten steckt. Und das ist auch gut so (wenn man an dieser Stelle einmal einen bekannten Noch-Bürgermeister zitieren darf).

Im Gedächtnis bleiben dürfte vielen ebenso der Auftritt von Laibach, als die markante Stimme von Milan Fras den Kulturpark erfüllte. Laibach – immer wieder neu und anders. Diesmal ruhiger mit viel weiblichem Gesang von Mina Špiler, aber nicht weniger nachdenklich und kritisch. Laibach sind eben Laibach: unverwechselbar, beeindruckend, unberechenbar. Für so manchen Besucher ein, wenn nicht der Höhepunkt des Wochenendes.

Laibach

Doch zahlreiche weitere Musiker beschenkten die Gäste mit aufregenden Konzerten. So wie Henke. Henke, die Band von Oswald Henke, der unverständlicherweise vielfach auf Goethes Erben reduziert zu werden scheint, dürften mit ihrem Auftritt einige neue Fans gewonnen haben. Ob nun das „Helden“-Duett mit Sonja Kraushofer (L’âme Immortelle) oder das intensive Stück „Epilog“, bei dem der Sänger wie ein der Welt entrückter Derwisch über die Bühne „stolperte“ – die Ausdrucksstärke eines Oswald Henkes in Kombination mit inhaltsstarken Texten und auf den Punkt gebrachte Klänge ruft immer wieder Gänsehaut hervor. Die einen schließen die Augen und lassen die Worte auf sich einwirken, die anderen beobachten fasziniert die theatralische Darstellung des Sängers.

Henke

Ähnlich wie Oswald Henke weckten auch „18 Summers“ (Silke Bischoff) Erinnerungen. Man lauscht den Klängen von „On The Other Side“ und verfällt in Nostalgie. Wie die Zeit doch vergeht… Bei so manchem älteren Besucher schimmerte eine kleine Träne im Augenwinkel. Ebenso wie bei Peter Heppners („Wolfsheim“) melancholisch verführerischen Stimme inklusive deutscher Texte. Insgesamt für die späte Stunde aber für manchen Besucher etwas zu ruhig.

Peter Heppner

Innerhalb der drei Tage wechselte sich Lautes wie Leises ab. Leises von Sieben. Ein Mann und seine Geige. Der sympathische Matt Howden entlockte seinem Instrument verschiedenste Töne. Durch Looptechnik entstanden die Stücke. Und Lautes von „Ost+Front“, die musikalisch ganz stark an „Rammstein“ erinnerten. Brachial, martialisch, blutig. Wobei man die Texte wohl nicht zu ernst nehmen sollte. Petrus zeigte sich jedenfalls nicht erfreut und schickte ein Riesendonnerwetter inklusive einer abartigen Schüttung Regen. Eine Menge Zuhörer ließ sich dadurch vertreiben. Nicht alle. Leider auch nicht eine Mutter mit einem alles andere als glücklich aussehenden Kind auf dem Arm.

Ost+Front

Überrascht zeigten wir uns von Joachim Witt, der mit seinem Alter kokettierte und so manchen humorvollen Spruch auf den Lippen hatte. Das Metier der Bühne beherrscht er perfekt. Neben neuen Titeln wurden natürlich auch allseits bekannte Stücke wie „Die Flut“ präsentiert. Und zum Abschluss – wie sollte es anders sein? – selbstverständlich „Der goldene Reiter“. Ein Klassiker der Neuen Deutschen Welle. Über drei Jahrzehnte alt. Der überwiegende Teil der Menschen vor der Bühne sang lautstark mit.

Joachim Witt

Den Abschluss bildete das bereits angesprochene Konzert von Apoptygma Berzerk. Die Menge war vom ersten Ton an in Feierlaune. Viel Altbekanntes, wo bereits die ersten Töne schon Jubel hervorriefen und die Menge in Bewegung versetze. Und auch die Norweger entführten das Publikum in die NDW-Zeit. „Völlig losgelöst von der Erde schwebt das Raumschiff völlig schwerelos“ – sangen da wirklich fast alle den Titel von Peter Schilling mit? Was sind diese Schwarzgewandeten doch für seltsame Wesen. Düster, unlustig – da stimmt wohl das Klischee nicht. Oder?

Musik war aber nicht alles: Im Vergleich zum letzten Jahr kam noch eine vierte Bühne hinzu, auf der lesende Autoren „ihr Unwesen“ treiben durften. So war Christian von Aster zum ersten und wohl nicht zum letzten Mal in Deutzen. Seine Lesung rief – wie nicht anders zu erwarten – große Begeisterung bei den Zuhörern hervor. Sein schauspielerisches Talent und seine humorvollen Texte waren eine große Bereicherung. Mit einer humorvollen Mischung aus Lesung und Konzert konnten auch Meystersinger – Lucy van Org und Roman Shamov – das Publikum erfreuen. Auch andere Autoren fanden ihr lauschendes Publikum. Eine nette Bereicherung dieses Familienfestivals.

Christian von Aster

Nicht verschweigen sollte man allerdings auch die durchaus vorhandenen Kritikpunkte. So konnten wohl einige Besucher trotz erworbenen Parkticket ihr Fahrzeug nicht auf dem offiziellen Parkplatz abstellen. Wie viele Partyzelte vorhandene Plätze blockiert haben, ist uns aber nicht bekannt. Außerdem beklagten sich Zeltende über zu wenige Toiletten. Davon bekamen wir jedoch nichts mit. Und wir sind uns sicher, dass das NCN-Team bereits an Lösungen arbeitet. Wir kommen definitiv wieder. Wegen der Abwechslung, wegen der leckeren heißen Schokolade, wegen des Wiedersehens von Menschen, die man viel zu selten trifft, wegen der netten Mannschaft, die mit viel Enthusiasmus die Organisation stemmen und wegen der entspannten Stimmung, in welcher die Aufpasser auch mal einen kleinen Jungen mit seiner Kamera in den Sicherheitsgraben einladen.

Das NCN in Deutzen ist wunderbar entspannt. Vielseitig. Unser Zimmer für nächstes Jahr ist schon gebucht.

Text: Edith Oxenbauer & Marcus Rietzsch
Fotos: Marcus Rietzsch

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