Live in Berlin: New Model Army

28. November 2010

BERLIN, HUXLEY`S NEUE WELT

Das Saallicht in Huxley´s Neue Welt scheint hell. „New Model Army“ haben bereits vor zehn Minuten die Bühne verlassen. Die Halle wird mit Musik aus der Konserve beschallt. Die Roadies haben längst mit dem Abbau begonnen. Und trotzdem hat sich der Saal kaum geleert. Ein Großteil des anwesenden, internationalen Publikums klatscht ausdauernd, johlt, jubelt frenetisch und bedankt sich damit bei einer außergewöhnlichen Band für einen unvergesslichen Auftritt. Dies war aber keineswegs der einzige Augenblick des Abends mit Gänsehautfaktor.

Der herausragenden Leistung dieser Ausnahmeband wird man mit Worten höchst unzureichend gerecht. Doch von Beginn an: Zum 30jährigen Bandjubiläum hatten sich „New Model Army“ etwas Besonderes einfallen lassen. Auf zwei Tage verteilt wurden etwa 55 (!) Titel aus drei Jahrzehnten vorgetragen. Beide Tage begannen mit einem ruhigeren, halb-akustischen, 40-minütigen Teil. Sänger/Gitarrist Justin Sullivan betrat hierzu anfänglich einzig in Begleitung von Gitarrist/Keyboarder Dean White die Bühne, um mit „Heroes“ das zweite Berlin-Konzert eindrucksvoll zu beginnen.

Eindringlich wurde „Another Imperial Day“ von Justin Sullivan komplett a Cappella vorgetragen – die bereits angesprochene Gänsehaut inklusive: „(…) find a place to hide in a stack of containers | another payload of world trade because | goods are free to move but not people | oil is free to move but not people | jobs are free to move but not people | money is free to move but not people (…)“ Der Mann ist nicht nur ein charismatischer und sympathischer Sänger; er hat auch etwas zu mitzuteilen.

Weitere „stille“ und packende Momente folgten, ehe eine 20-minütige Pause, welche möglicherweise den betagteren Fans der ersten Stunde geschuldet war, den Auftritt kurzzeitig unterbrach… um anschließend allerdings umso mitreißender fortgesetzt zu werden.

Der Sound hätte nicht besser abgemischt sein können. Und trotz aller Professionalität, welche die Band auszeichnet und trotz der zahlreichen Konzerte, welche in der langen Karriere bereits absolviert wurden, spürte man keine Müdigkeit. Im Gegenteil: „New Model Army“ stecken noch immer voller Energie und Leidenschaft.

Melancholische, schwermütige und kraftvolle Titel geprägt von einer melodischen Basslinie, intensiver, treibender und mitreißender Rhythmen, der charakteristischen Stimme und eindringlichen Texten von Justin Sullivan, der konstanten Größe der 30jährigen Bandgeschichte – die Spielfreude, Ehrlichkeit und Authentizität der Band ist kaum zu übertreffen.

Im Grunde ist es schwer bis unmöglich, einzelne Titel aus einem homogenen Auftritt hervorzuheben. „Here Comes The War“ hat mich persönlich aber besonders begeistert – so eindrucksvoll, mitreißend und bewegend vorgetragen, dass die bereits erwähnte Gänsehaut beim „stürmischen“ Refrain nicht lange auf sich warten ließ. So voller Wut und Schmerz. Doch auch die anderen Titel waren voller Leiden und Zorn. Und empfindsamer Beobachtungen. Aber ebenso Lebenslust und Hoffnung.

Justin Sullivan hat es in einem Interview vor einigen Jahren auf den Punkt gebracht: „Lieder können die Welt nicht verändern, aber sie verbinden das Publikum. Die Fans sind unsicher, sie merken, dass da draußen vieles falsch läuft. Sie fühlen sich allein, kommen zu Konzerten und erleben, dass sie nicht alleine sind. Es ist eine Art Bestätigung, ein Kraftschöpfen, das sehr wichtig ist.“

Fast kein NMA-Konzert ohne die nicht nur auf den Schulter sitzenden, sondern teils auch stehenden Fans, die jedes gesungene Wort zelebrieren, theatralisch die Arme bewegen und vollkommen in dem jeweiligen Song aufzugehen scheinen. Selbstverständlich auch in Berlin.

Nach 135 Minuten reiner Spielzeit, drei Zugaben und dem erwähnt langanhaltenden Applaus konnte man in zahlreiche glückliche Mienen blicken. „New Model Army“ zauberten ein Lächeln in die Gesichter alter sowie junger Musikliebhaber. Und ich glaube, dass einige sogar eine Träne der Verzückung verdrückt haben.

Danke „New Model Army“.

SETLIST

TEIL I

Heroes
Snelsmore Wood
Ballad of Bodmin Pill
Another Imperial Day
You Weren’t There
Lovesongs
The Attack
Modern Times
Ocean Rising

TEIL II

Island
Christian Militia
Long Goodbye
Falling
One of the Chosen
Carlisle Road
The Hunt
Red Earth
Get Me Out
Vagabonds
Knife
Autumn
Here Comes The War
Purity
No Rest

ZUGABEN

Marrakesh
Stupid Questions
I Love The World

Fotos: Marcus Rietzsch

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert