Norwegen ist für seine einsamen, teils rauen und eine gewisse Melancholie ausstrahlenden Landschaften bekannt. Im Sommer magische helle Nächte, im Winter düstere schwermütige Tage. Eine ideale Atmosphäre, um kraftvolle und tiefsinnige Musik entstehen zu lassen. Zumindest für „New Model Army“, die sich Anfang des Jahres auf die kleine norwegische Insel Giske zurückgezogen haben, um an ihrem 15. Studioalbum zu arbeiten: „Wenn Du die fünf Musiker von New Model Army fragst, wo sie ihre Musik am liebsten aufnehmen möchten, werden sie sagen: ‚Irgendwo, wo es kalt, rau, trostlos, weit offen und groß ist.‘ Das ist unsere Landschaft. Ich glaube, diese Rauheit zieht sich durch all unsere Musik.“, so Gitarrist und Sänger Justin Sullivan, Kopf der Band und einzig verbliebenes Gründungsmitglied. Und ja, die Abgeschiedenheit der Insel, die Weite und die Schroffheit der norwegischen Natur spiegeln sich in den zwölf Stücken wider; ebenso wie die angespannte aktuelle Weltlage und die Unsicherheit und Angst, welche aufgrund des Brexitchaos in der britischen Heimat der Band allgegenwärtig sind.
Auch nach beinahe vier Jahrzehnten, in denen „New Model Army“ bereits aktiv sind, hat die Band ihre Kreativität und ihre Scharfzüngigkeit nicht verloren und so in der skandinavischen Einsamkeit ein frisch klingendes und experimentierfreudiges Album produziert.
Bereits der Beginn ist ungewöhnlich. Einzig ein Tambourine gibt den Takt vor. Von zurückhaltenden Klängen getragen steht die eindringliche Stimme von Justin Sullivan im Vordergrund:
„I’m passing through
I’m only passing through
There’s nothing to lose, nothing to lose
There’s nothing to lose, no, nothing to lose”
Die Worte graben sich tief ins Gedächtnis, um dort lange nachzuhallen. Nach knapp dreieinhalb Minuten klingen die Töne ab und als eine Akustikgitarre einsetzt, hat man den Eindruck, den Auftakt eines neuen Stücks zu hören. Doch es handelt sich weiterhin im „Passing trought“. Tribalartige Rhythmik hebt den Song auf eine andere Ebene. Ein bewegender und spannender Titel mit einem grandiosen Aufbau.
Als ebenso beeindruckend stellt sich das energiegeladene „End Of Days“ heraus. Dem kraftvollen Schlagzeugspiel lässt sich nur schwer entkommen. Und auch hier setzen sich Text und Melodie sukzessiv im Gehirn fest:
„The expression on your face says that you’ve been cheated
Well you’ve been cheated but not in the way that you think
When the high and the might spread their wings
Only shadowed things can grow in the shadows beneath
You say you’re bored of the fireworks
Now you want to see the fire”
Wie durch eine dünne Eisschicht bricht die Wut, die bei so manchem Song unterschwellig mitschwingt, an die Oberfläche.
Im Gegensatz dazu wirkt „Setting Sun“ versöhnlich und hoffnungsvoll. Die Menschheit ist vielleicht noch nicht verloren? In ähnlicher Weise wie das einleitende „Passing trought“ lebt dieses Stück – wie einige Songs eine Mixtur aus Zurückhaltung und brodelnder Explosivität – nach einem Break auf, ehe es langsam und bedächtig verklingt.
„I’m coming back
I’m coming back, I’m coming back
Over the waves, the scattered islands
I’m flying into the horizon”
In ihrer langen Schaffensphase haben „New Model Army“ regelmäßig und wiederholt bewiesen, dass sie großartige Stücke schreiben können. Mit „From here“ stellen sie dies erneut eindrucksvoll unter Beweis. Zugegeben: Das Album benötigt seine Zeit. Doch nach und nach schälen sich immer neue Details aus der Dunkelheit und machen die einzelnen Songs zu etwas Besonderem. Es ist erstaunlich, auf welchem Niveau sich diese Band seit so vielen Jahren bewegt. Und obwohl das Album unüberhörbar nach „New Model Army” klingt, kopiert sich die Band nicht selbst, wie das reduziert wirkende, aber eine spezielle Atmosphäre erschaffende „Maps“ beweist: Mehrmals drängen Schlagzeugexzesse in den Vordergrund, während eine dunkle, sich wiederholende Cellomelodie für eine beinahe bedrohlich anmutende Stimmung sorgt. Fantastisch.
Durch das Album zieht sich eine unterschwellige Spannung. Auffällig und mitreißend ist die energische Rhythmik einiger Stücke wie bei dem bereits erwähnten „End Of Days“. Dem gegenüber stehen zaghafte Momente. In der Ruhe liegt bekanntlich die Kraft und so sind es die ruhigen Passagen, die diese Veröffentlichung zu einem überaus kraftvollen, intensiven und überaus hörenswerten Gesamtkunstwerk machen.
Das Album ist als CD-Hardcover-Media-Book, Doppel-Vinyl-LP und digitale Version erhältlich.