Oswald Henke – ernsthaftes Kind und humorvoller Rebell

Freitag, der 27. April 2012: Im Backstagebereich der theARTer Gallery in Berlin treffen wir auf Oswald Henke. Oswald Henke – DER Mensch hinter den Musikprojekten und -bands Goethes Erben, Erblast, Artwort, Fetisch:Mensch und Henke. Vieles Vergangenheit. Neues lebt.

Mit Henke im Gespräch zu sein, ist etwas anderes, als ihn auf der Bühne zu erleben. Der sonst so quecksilbrige Dämon sitzt uns ruhig und konzentriert gegenüber. Seine Leidenschaft ist gezügelt – aber trotzdem präsent.

Wir fragen nach seinen Motiven, vormals einige Projekte parallel vorangetrieben zu haben. Und warum er seine Aktivitäten nun in anderes lenkt. Nachvollziehbar Henkes Erklärung, dass alles eine Frage der Entwicklung ist. Neue Erkenntnisse. Neue Einsichten. Wandlung der Szene. Wandlung der Medienlandschaft. Die verschiedenen Band-Projekte waren ein Weg, um Neues schöpferisch darauf aufzubauen. „Goethes Erben“ ist ein abgeschlossener Weg. Mit der Band „Henke“ werden aber live immer wieder Stücke dargeboten. Und eventuell wird es zum 25. Jubiläum einen musikalischen Rückblick in Form einer CD geben.

Apropos Rückblick: Wie wurde aus dem Schüler Oswald Henke einer der wegweisenden Künstler in der deutschsprachigen schwarz-alternativen Musik-Szene? War er durch das Elternhaus künstlerisch vorbelastet? Nein. In keinster Weise. Das Schultheater bot erste Gestaltungs- und Entfaltungsmöglichkeiten. Doch dies war eher Variete. Ein ihn nicht ausfüllendes Genre: zu flach, zu lapidar, zu wenig Tiefe. Die Gedanken und Gefühle eines jugendlichen Revoluzzers konnten so nicht ausgedrückt werden. Die Begeisterung für die Bühne blieb jedoch. Und wuchs. Mit dem Ziel, die Geschehnisse in der Welt und der Gesellschaft mit eigenen Worten zusammenzufassen und auch anzuklagen, entstanden im Alter von 15, 16 Jahren die ersten Texte, woraus einige Jahre später Oswald Henkes erstes Musik-Projekt resultierte: „Goethes Erben“ – deutsche Sprache, präzise Formulierungen, akkurate Aussprache.

An und mit „Goethes Erben“ ist Oswald Henke gewachsen. Doch der „jugendliche Revoluzzer“ hat sich damit nicht ver-wachsen. Er blieb sich selbst und seiner Suche nach Hintergründen, Gefühlen und Scheinwelten treu. Seine kritische Haltung hat sich nicht abgenutzt. Leider liefert der tägliche Irrsinn genug Stoff für Henkes Texte. Geschriebenes, das manchmal hintergründig, manchmal direkt gegen die Oberflächlichkeit von Boulevard-Medien-Schlagzeilen anschreien. Die Texte des Sängers und Autoren entstehen in erster Linie durch die Auseinandersetzung mit bestimmten Themen, dem Beobachten und Zuhören. Sich in Ängste und Situationen „fühlen“ – Empathie. Hin und wieder werden Texte auch durch sehr persönliche Erlebnisse geprägt. Wie beispielsweise „An jedem Haar“. Dies ist eine Hommage an Henkes Großmutter, die sterben wollte aber nicht konnte und drückt seine Gedanken zum Thema selbstbestimmtes Leben und Sterben aus. Ein weiteres, sehr menschliches Thema: Organspende. Die Regelung, dass in Zukunft jeder Mensch in Deutschland gefragt werden soll, findet Henke gut. Jeder sollte sich positionieren.

Die Sprache ist ein faszinierendes Mittel, um Gedanken und Emotionen auszudrücken. Aber nicht nur das beherrscht Henke perfekt. Niedergeschriebenes durch ihn gesprochen wird zu einem flammenden Tribunal. Das schauspielerische Talent ist in dem Sinne jedoch keines. Denn jeder Zorn, jede Angst, jeder Traum wird aufs Neue gelebt. Nichts ist gespielt. Echte Gefühle. Von innen heraus. Oswald Henke gibt den Menschen, die selbst keine oder nicht die richtigen Worte finden, um ihrer Gefühlswelt Ausdruck zu verleihen, mit seinen Texten die Möglichkeit, sich darüber zu artikulieren.

Etwas überrascht uns die Erkenntnis, dass Henke eine solide Ausbildung zum Krankenpfleger abschloss. Seinen Eltern zur beruhigenden und großen Freude, wie er noch hinzusetzt. Pflegepersonal mit Deutschkenntnissen erachtet Henke schon als sehr wichtig. Die Vorstellung einer Operationsschwester, die einzig Russisch spricht und versteht… einer erfolgreichen Operation dürfte dies eher wenig zuträglich sein. Doch nichts gegen russische OP-Schwestern. Europa ist wichtig. Und würde so manchem Deutschen die Augen öffnen, wie es in anderen Ländern mit Gesundheitswesen, Bildung und Leben im Allgemeinen steht. Bedauerlich, dass in Deutschland einfach zu wenig auf Bildung gesetzt wird. Politisch, finanziell, gesellschaftlich.

Die Frage, wie viel Pessimismus in Oswald Henke ist und wie er damit umgeht, beantwortet er sinngemäß mit „die Hoffnung stirbt zuletzt“. Hoffnung muss vorhanden sein, ist wichtig, auch für das künstlerische Schaffen. Ohne Hoffnung müsste man dies alles aufgeben. Sich selbst sieht Henke nicht als Pessimist, sondern als Realist. Vielleicht kann man die Welt nicht retten, vielleicht muss die Welt untergehen. Die Gesellschaft hat versagt. Hat sie es verdient, zu überleben? Es ist wie ein Kampf gegen Windmühlen. Unpopuläres laut auszusprechen schafft nicht nur Freunde. Viele trauen sich nicht, ihre eigene Meinung zu vertreten. Haben Angst davor, Anhänger, Fans, Freunde zu verlieren. Auch das Einkommen dadurch zu schmälern. Es braucht Mut, sich selbst treu zu bleiben und wiederholt „Unbequemes“ zu thematisieren. Und wenn man auch nur ein paar Menschen erreichen und sie zum Nachdenken anregen kann. Die Menschen in Deutschland scheinen einfach zu satt zu sein. Ein Jammern auf extrem hohem Niveau ist zu vernehmen. Vielleicht hören ein paar auf die Worte von Oswald Henke. Und wenn nicht, bleibt ihm wenigstens die Genugtuung, seinen Frust nicht hinuntergeschluckt zu haben.

Momentan ist das Thema Urheberrecht/GEMA/ACTA in aller Munde. Ein Thema, bei dem sich Henke sehr ereifert. „Ein Künstler muss von seiner Arbeit leben können!“ Ansonsten bleibt uns allen demnächst nur Computergedöns von Dilettanten. Ein allgemeiner Verfall der Sitten, sinkende Wertschätzung von Kreativität – diese Mentalität, alles umsonst haben zu wollen, breitet sich immer mehr aus. Aber macht eine hohe Qualität bei der Aufnahme eines Albums nicht entsprechende Technik zwingend erforderlich? Natürlich kostet dies Geld. Und selbstverständlich müssen diese Kosten im Normalfall über den Verkauf von CDs finanziert werden. Und ja, eine CD hat somit ihren Preis. Als „Verbraucher“ muss man so auch einmal Prioritäten setzen! Jedem bleibt die Entscheidung selbst überlassen, ob ihm ein bestimmtes Album etwas wert ist. Oder ob das Geld lieber in eine Stange Zigaretten investiert wird. Bei letzterer käme kaum jemand auf die Idee, sie ohne zu zahlen aus dem Automaten ziehen zu wollen bzw. zu können. Youtube wird inzwischen wie ein Radio benutzt. Alles ist jederzeit verfügbar. Frei verfügbar. Das Grundverständnis für die Wertigkeit von Musik sei abhanden gekommen. Die Kosten, um ein Album zu produzieren, haben sich fast verdoppelt. Die Anzahl der umgesetzten Alben hat sich hingegen halbiert. Um überall und jederzeit erreichbar zu sein, in alle Netze telefonieren zu können und Zugang zum Internet zu haben, werden Flatrates für teures Geld abgeschlossen. Die Anschaffungskosten für eine CD werden dagegen „eingespart“. Der kostenfreie Konsum vom Filmen mag den „Kassenschlagern“ nicht viel schaden, der alternativen Filmszene wird damit aber die Existenzgrundlage entzogen. Für 3-D-Filme werden hohe Eintrittspreise bezahlt – um anspruchsvollere Werke bei einer „Tauschbörse“ zu kopieren.

Völlig legal und kostenpflichtig kann man sich heutzutage einzelne Musiktitel herunterladen. Henke hält davon nichts. Einem Album liegt ein Konzept zugrunde. Die jeweiligen Stücke sind aufeinander abgestimmt, bilden eine Einheit. So wurden Songs von „Goethes Erben“ vertraglich nicht für den MP3-Verkauf freigegeben. Musikdateien sind gegenstandlos, körperlos. Man kann sie nicht fassen. Und so erscheinen sie vielen Menschen als wertlos. Dabei geht es doch um geistiges Eigentum. Und dieses wegzunehmen ist schlicht und ergreifend Diebstahl.

Das Internet wird geliebt und gehasst. Die junge Generation wächst in einer Social-Network-Welt auf. Doch allzu oft wird diese virtuelle Welt unreflektiert und unbedacht genutzt. Was denkt Oswald Henke bezüglich Facebook und Co.? Facebook ist für das Marketing und die Platzierung von Werbung gut und richtig und wird von Henke diesbezüglich auch benutzt. Andererseits käme ihm niemals in den Sinn, des Morgens der weltweiten Netzgemeinde seine Befindlichkeiten hinsichtlich Kaffeegenuss, Kopfschmerzen oder andere „weltbewegenden“ Informationen mitzuteilen. Nichtssagende Botschaften, Informationsmüll. Wer braucht so etwas? Aber es stellt auch einen Spiegel der Gesellschaft dar. Es zeigt den Umgang der Menschen miteinander. Im Internet wie im wirklichen Leben. Nur im Internet ist man anonymer: Ein „Maskenball der Nackten“ – so auch der Titel des nächsten Albums der Band „Henke“. Es werden Kommentare abgegeben, die nichts, aber auch rein gar nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun haben. Was denken sich diese Menschen? Denken sie überhaupt?

Auf der anderen Seite bietet das Internet und bestehende Rechte einer mittlerweile nicht mehr ganz neuen gewerbsmäßigen Abmahn-Manie Raum. Rechtsanwälte durchsuchen mittels Software das Netz nach diversen Verstößen. Die Bezeichnung „Verbrecher-Syndikat“ ist hier durchaus nachvollziehbar und nahe liegend.

Kann Oswald Henke mit seiner Kreativität seinen Lebensunterhalt verdienen? Nein. Lesungen bringen Einkommen, ebenso wie die Arbeit als DJ oder die Betätigung im Bereich Marketing. All dies ist notwendig, um unabhängig zu bleiben.

Manch einer geht in den Wald, andere in den Keller. Doch wo arbeitet Henke seine Ideen aus? Der Ort ist letztendlich bedeutungslos. Wichtig ist Zeit. Zeit, um eine Idee zu erfassen und sich damit auseinanderzusetzen. Die Textausarbeitung ist anschließend allerdings ein längerer Prozess.

Neben eigenen Texten und Kompositionen ist auf der jüngsten Veröffentlichung der Band „Henke“ auch eine Interpretation eines David-Bowie-Songs enthalten: „Helden“. Ein Titel über und für Berlin, um und gegen die Mauer. Ein toller Titel mit einer wunderbaren Stimmung. Oswald Henke hat ihn stets als Duett gesehen. Denn hinter jedem Helden steht eine Frau, ein Mann, ein anderer Mensch. Ein Held agiert niemals vollkommen allein. Irgendjemand stärkt ihm den Rücken. Deshalb war dieses – übrigens gemeinsam mit Sonja Kraushofer (L’âme Immortelle, Persephone, Coma Divine) aufgenommene – Duett folgerichtig.

Stichwort „Coma Divine“: Gemeinsam mit dem neusten Projekt von Sonja Kraushofer spielten „Henke“ im April 2012 einige Konzerte. Weitere Termine stehen bereits fest. Henke berichtet, dass es heute ungemein schwierig sei, mit dem Konzert einer einzelnen Band einen Club zu füllen. Die Menschen nehmen lieber bei einem Festival kleine „Häppchen“ zu sich, statt sich einem kompletten Konzert zu widmen. Henke nennt dies „Buffet-Mentalität“. So haben Konzerte für die Betreiber der Locations eine untergeordnete Priorität. Spült ein normaler Discoabend doch spürbar mehr in die Kassen. Alleine auf Tour zu gehen, war für „Henke“ somit nur schwer realisierbar. Deshalb hat man sich also mit „Coma Divine“ zusammengetan. So ließen und lassen sich die Kosten teilen und das Risiko verringern.

Henkes Sicht auf die „Szene“ von heute: Früher war nicht alles besser, aber anders. Man ließ sich auf die Musik ein, die an einem Abend – beispielsweise in dem leider bereits Mitte der 90er Jahre geschlossenen Club „Die Etage“ in Bayreuth – aufgelegt wurde. Anhänger von Rockabilly, Punk, Wave, Psychobilly, New-Romantic, EBM mischten sich. Anhänger des Punk bewegten sich zu elektronischen Klängen. Rockabilly-Fans blieben bei einem Wave-Titel auf der Tanzfläche. Eine Subkultur – eine einzige Szene. Mittlerweile ist alles getrennt, abgegrenzt, und irgendwie gegeneinander.

Irgendwie tendiert die Szene zu einem „schwarzen Ballermann“, tendiert in den Schlagerbereich. Beispiel „Unheilig“. Oder die so genannte Cyberbewegung. Cyber – eine leere Hülle, eine inhaltslose Sprache. Sprache reduziert auf „Schlagworte“, die nur Grundbedürfnisse des Menschen bezeichnen. Eine Rückentwicklung zum Höhlenzeitalter. Allerdings: Wenn die „Alten“ die Discotheken und Clubs meiden, dürfen sich diese nicht wundern, dass bald nur noch technolastige Musik für die „neue Generation“ gespielt wird.

„Szenefremder“ Musik ist durchaus etwas abzugewinnen, sofern Texte mit Inhalt transportiert werden. So wie bei „Krieger“ von „Die Fantastischen Vier“. Vielfältig ist dann auch die Liste der Bands, deren Titel ins Ohr, ins Herz und in den Kopf von Oswald Henke gelangen: Interpol, Christian Death, Skinny Puppy, Anne Clark, Front 242, Alien Sex Fiend, alte Depeche Mode, U2, Björk, Sigur Rós – um nur einige zu nennen. Daneben – man möchte aufgrund seiner Heimat Bayreuth fast behaupten zwangsläufig: Klassik im Allgemeinen und Wagner im Speziellen. Und – das erstaunt dann schon ein wenig – Henke kann sogar „Simon und Garfunkel“, der Musik seiner Eltern, etwas abgewinnen. Schön, romantisch, gefühlvoll.

Das Gespräch nähert sich dem Ende. Sind wir überrascht, welche Breite von Gefühlen und welche Meinungen uns Oswald Henke gezeigt hat? Eigentlich nicht. Erfreut sind wir. Wir haben es erwartet – oder zumindest gewünscht. Es ist eine Freude, auf einen gleichgesinnten Menschen zu treffen. So einfach ist dies ja leider nicht.

Oswald Henke – ein anständiger Mensch, ein kluger Kopf. Wir danken für die Zeit, für das Gespräch, für die offenen Worte.

Das Gespräch führten Edith Oxenbauer und Marcus Rietzsch.

www.oswald-henke.de

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2 Kommentare

    1. Dieses vor über zehn Jahren veröffentlichte Interview als Arschkriecherei zu bezeichnen, finde ich respektlos. Ebenso die indirekte Aufforderung, mit der Kunst Schluss zu machen. Schließlich wird niemand gezwungen, Oswald Henkes Musik oder Texte zu „konsumieren“. Wo liegt also das Problem?

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