Out Of Line Weekender 2015 – Tag 1

Milan Fras (Laibach)

27. März 2015

BERLIN, ASTRA KULTURHAUS

Das Plattenlabel „Out Of Line“ – Heimat u. a. von „Hocico”, „Die Form” und „Combichrist” – lud zu einem Wochenende voller Livemusik in die Hauptstadt ein. Wir entschieden uns für den Besuch des ersten der drei Festivaltage, der so manches „klassische“ Liedgut aus dem alternativ-elektronischen Bereich versprach.

Eröffnet wurde der musikalische Reigen jedoch durch die noch recht junge Berliner Band „Formalin“. Die beiden temperamentvollen Musiker präsentierten rhythmusorientierten, technolastigen Electro, der als Einstimmung diente.

Formalin

Als zweite Band folgte bereits ein Höhepunkt: Die Titel von „The Invincible Spirit“ konnten die Besucher von Beginn an begeistern. Ob nun „Devil Dance“, „Deeper“ oder „Irregular Times“ (ursprünglich von „The Mao Tse Tung Experience“) – der Rhythmik und Dynamik konnte man sich schwer entziehen. Ein Stück setzte dem Ganzen aber die Krone auf: „Push!“. Kann man diesem energiegeladenen Song eigentlich überdrüssig werden? Die Anwesenden, die den Saal im Astra Kulturhaus zahlreich füllten, reagierten jedenfalls voller Begeisterung. Einziger Wehrmutstropfen: Die veranschlagte Auftrittszeit war viel zu schnell aufgebraucht.

The Invincible Spirit

„Rummelsnuff“, die anschließend auf dem Programm standen, waren ziemlich gewöhnungsbedürftig, aber durchaus amüsant. Der bulligen „Käpt’n“ kann mit Fug und Recht als bemerkenswert eingeordnet werden. Mit übertriebener, komischer und selbstironischer Körpersprache und Mimik gewann der Frontmann das Publikum für sich. Doch auch seine Mannschaft bestand aus Unikaten. Seriös gekleidet und mit Melone auf dem Kopf spielte Bernd Butz Akkordeon. „Eisenkumpel“ – der Name ist visuelles Programm – an den Tasten. Christian Asbach mit aufregend guter Stimme. Bei dieser Band ist die Bühnenpräsenz entscheidend. Die Musik wird als „derbe Strommusik“ bezeichnet. Seefahrerromantik und elektronische Rhythmen. Ziemlich irritierend, auf gewisse Art und Weise allerdings ebenso unterhaltsam. Die Varianten von „Nathalie“ (Gilbert Becaud) und „Azzurro“ (Adriano Celentano) sorgten für ein verunsichertes Grinsen.

Rummelsnuff

Ein sofortiges Kontrastprogramm zum belustigenden Auftritt von „Rummelsnuff“ lieferten „Absolute Body Control“ aus Belgien. Die 1979 gegründete und zwischen 1984 und 2006 auf Eis liegende Band präsentierten einen von den 80-Jahren ins Hier und Jetzt „geretteten“ elektronischen Klang, welche die Gäste ebenso in Verzückung und zudem in Bewegung versetzte. Neben „Front 242“ hat Sänger Dirk Ivens („The Klinik“, „Sonar“ und „Dive“) den weltweit bekannten und überaus einflussreichen belgischen Sound entscheidend mitgeprägt. Bereits 1981 wie auch an diesem Abend fragte er: „Is there an exit?“ – ein grandioser Klassiker der Band. Auch dieses kurzweilige Konzert schien viel zu früh zu enden.

Absolute Body Control

Während der folgenden Umbaupause wurden zwei Bauzäune an den Bühnenrand gewuchtet. Großes Fragezeichen. Wer muss geschützt werden? Das Publikum vor den Musikern oder die Musiker vor dem Publikum? Natürlich handelte es sich nur um Staffage. Schließlich kündigte sich „Die Form“ – DIE französische Kultband und mit der Gründung im Jahr 1977 dienstälteste Formation des Abends – an. Sängerin Éliane P. mit zarter Stimme, Lebensgefährte Philippe Fichot mit Ledermaske am Synthesizer. Abgerundet durch diverse „Tanz“-Einlagen von Laina Fischbeck. Mehr oder weniger bekleidet, aber oft wie rasend in Schmerz und Verzweiflung sich gegen die Zäune werfend und über die Bühne springend. Dazu krachend-elektronische Klänge. Leider mit zu viel, zu monotonem Bass. Sogar das großartige Stück „Bite Of God“ wollte nicht so recht zünden. Was vielleicht unserem Standort in der Halle geschuldet sein mochte.

Die Form

Nachdem die Lichter im Saal wieder aufflammten, folgte gespanntes Warten. Die Pausenmusik glich einer Folter. Aufgrund der szenefremden Klänge aus der Konserve erwartete man förmlich jederzeit das Deutsche Fernsehballett auf der Bühne zu erblicken. Doch auch diese seelische Grausamkeit hatte ein Ende. Die Eurovisionshymne kündigte Erlösung und DEN Höhepunkt des Abends an: Laibach. Nach und nach betraten die slowenischen Musiker die Bühne. Ein Lächeln formte sich auf unseren Gesichtern.

Laibach

Die Band „Laibach“ ist gleichbedeutend mit Überraschung und das Gegenteil von Stillstand. Im Schrank der Stilrichtungen hat das innovative und immer neue Klänge präsentierende Künstlerkollektiv seine eigene Schublade. Laibach – ein tiefgründiges Chamäleon. Die dramatische Stimme von Milan Fras zog die Hörenden umgehend in ihren Bann. Daneben agierte die ausdrucksstarke und stimmgewaltige Mina Špiler als weiblicher Gegenpol. Vom ersten bis zum letzten Ton vermochte die Band das Publikum mit ihrer vielschichtigen Klangwelt zu fesseln. Ein grandioses und intensives Spektakel.

Ältere Stücke wie „B Mashina“, „Leben – Tod“ oder „Warme Lederhaut“ – in teils veränderten Gewändern – und Titel vom aktuellen Album „Spectre“ drangen mit aller Macht in unsere Köpfe. Und in unsere Beine.

„Eins, zwei, drei, vier
Brüderchen, komm tanz mit mir
Eins, zwei, drei, vier
Beide Hände reich ich dir
Eins, zwei, drei, vier
Meine Freunde, tanz mit mir
Eins, zwei, drei, vier
Rundherum, das ist nicht schwer“

Dieser Aufforderung („Tanz mit Laibach“) kam man natürlich gerne nach. „Laibach“ – ein interdisziplinäres Gesamtkunstwerk, das einen gelungenen Abend perfekt abrundete. Rückblickende Gedanken zaubern noch Tage später ein breites Lächeln auf unsere Lippen…

Text: Edith Oxenbauer und Marcus Rietzsch
Fotos: Marcus Rietzsch

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