Oder: das unbekannte Leben heimatloser Plüschis im Untergrund des U-Bahnnetzes
„Traumdealer am Abstellgleis“ ist ein mich wunderbar bezauberndes Buch – denn ich bin ein Plüschibeherberger. Obwohl vor Jahren zwei große Müllsäcke frisch gewaschener Kuscheltiere den Weg in eine Kita antreten mussten. Womit in einem kleinen Wohnzimmer wieder eine relativ stolperfreie Zone entstand.
Nun erzählt mir ein regenbogenfarbener Teddy namens „Regen“ von seinem Leben und seinen Abenteuern.
Der Klappentext:
„Was tut man, als Regenbogen-Teddybär, wenn man aufgrund seiner eigenen Feigheit die Liebe seines Lebens verloren hat? Wenn sich die Plüschgesellschaft ungeachtet des eigenen Elends im Scheinwerferlicht von Varietés und Brausebonbonparties vergnügt? Richtig: Sich abwenden und ein Leben am Abstellgleis wählen! Statt den profanen Freuden des Alltags zu folgen, gilt es mit seinen zwei Freunden zu philosophieren und sich auch schon mal dem Drogenrausch hinzugeben. Wäre da nicht diese unglaublich süße Hasendame… Regen ist wieder verliebt, mit Fell und Watte.
Aber kaum hatte sie sein Leben betreten, wurde sie auch schon von Ratten entführt und alles, was die drei Freunde beitrugen, war feige zuzusehen.
Nach langem Zögern und einem ordentlichen Schubs ihrer Dealerin Candy machen sich die drei Eremiten auf den Weg, sie zu retten. Immerhin lockt als Belohnung, neben der Herzensdame, auch eine ganze Stange Schokoladenzigaretten, mit dem Regen im Traumland das Abo seines eigenen Wunschtraums unbegrenzt verlängern könnte. Ein mehr als nur willkommenes Angebot, denn Regens Traum mit dem Haus am Honigsee fängt bereits an, zu bröckeln. Wird es Regen und seinen Freunden gelingen, Hase aus den Fängen der Ratten zu befreien, ehe sie als Nistmaterial endet?
Tauchen Sie mit Selina Haritz ein in die Welt der Drogen, Plüschtiere und unerfüllten Träume. Genießen Sie ein Abenteuer mit Zuckerwattestand und Schokoladenzigaretten.“
Es gibt sogar ein kleines Vorwort vom Meister Christian von Aster, der dankbar für die Entführung in diese kleine Welt der Selina Haritz ist.
31 Kapitel, denen meistens ein Zitat der beiden „großen Alten“ Nietzsche und Schopenhauer vorangestellt ist. Wer denkt, dass könnten nun sehr bittere, misanthropische Zitate sein, irrt gewaltig. Beispiel: „Die Hoffnung ist der Regenbogen über den herabstürzende jähen Bach des Lebens.“ (Nietzsche)
31 Kapitel voller Gefühle, Träume, Abenteuer. Eine Parallelwelt der verlorenen, weggeworfenen, vergessenen, geflüchteten Plüschtiere der verschiedensten Arten. Selbst nicht mehr so vorzeigbare Barbies (Felllose) hatten hier einen Rückzugsort gefunden. Als Bodyguards der drogendealenden Dalmatinerin. Drogen sind in diesem Fall dann die extrem süchtig machenden Schokoladenzigaretten. Und sie sind wahnsinnig begehrt. Um sich in Traumwelten zu flüchten. Doch die Wirklichkeit im Untergrund ist hart. Rattendynastien polstern sich gern ihre Nester weich aus… und so manch Plüschi musste sein Innenleben dafür hergeben.
Plüschis – verschmutzt, beschädigt, vergammelnd – kleine Feiglinge, große Helden. Beziehungen, Verluste, Kämpfe in fein gezeichneten Charakteren dargestellt, die hin und wieder die Erzählung durch ein Zitat der „großen Alten“ beeinflussen. Und letztendlich ist es auch hier die Liebe, welche zu Mut und Entschlossenheit antreibt.
Als kleines Extra bekommt der Leser junge Ratten (die Omegas), welche der Diktatur des Rattenkönigs entkommen wollen. Der „Braune“ agitiert und klärt auf über Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.
In den Schokoladenzigarettendrogenphantasien tauchen Sequenzen aus dem Buch „Neuschwabenland“ auf.
„Traumdealer am Abstellgleis“ ist ein Buch so niedlich wie verrückt – aber unwahrscheinlich bezaubernd. Freundliches Lesevergnügen in einer nicht so freundlichen Zeit dort draußen.
ISBN: 978-3946425120
Verlag: Edition Roter Drache