8. November 2019
SO36, BERLINObwohl wir pünktlich zum angekündigten Beginn im SO36 eintrafen, hatte die erste, 2015 in Toronto (Kanada) gegründete Band des Abends – „Traitrs“ – bereits einen Großteil ihres Auftritts absolviert. Durchaus schade, erschaffen Shawn Tucker (Gesang, Gitarre) und Sean-Patrick Nolan (Synthesizer) doch herrliche, in sich gekehrte und unüberhörbar von The Cure inspirierte Klangwelten, denen man sich in entsprechendem Ambiente wunderbar hingeben kann. Deshalb war es kaum verwunderlich, dass das zu diesem frühen Zeitpunkt bereits zahlreich anwesende Publikum viel Applaus spendete.
Nach einer angenehm kurzen Umbaupause startete das Konzert von „Box and the twins“, die im Gegensatz zu vergangenen Auftritten und anders als es der Name suggeriert, als Duo auf der Bühne erschienen. Sängerin Box und Gitarrist/Bassist Mike stellten das nur wenige Tage zuvor veröffentlichte Album „Zerfall“ vor, auf dem man sich auch an deutsche Texte gewagt hat:
„Du fühlst Dich so allein
Dann verlass mich doch
Verlass mich
Verlasse mich
Geht doch endlich fort
(…)
Deine stillen Worte
Erfassen mich nicht
Ich höre bloß Dein Klagen
Dass das Zerbrechliche zerbricht“
(aus dem Song „Dein Herz schlägt noch“)
„Und wir treffen uns
Im vereinten Zerfall
Und wir retten uns
Im vereinten Zerfall“
(aus dem Song „Zerfall“)
Sphärisch hallende Gitarren trafen auf düstere wie verträumte Klangflächen und Worte. Die beiden Musiker mühten sich redlich, um mit ihrer betörenden Musik zu verzaubern und sehnsuchtsvolle Momente zu kreieren. Doch der dunkle Dream Pop hatte es nicht leicht, sich gegen das Stimmengewirr zu vieler uninteressierter Besucher durchzusetzen. Und so vermochte der Funke – im Unterschied zu erwähnten früheren Darbietungen – nicht vollends überzuspringen.
Mittlerweile war der Raum gänzlich gefüllt und das sich in absoluter Feierlaune befindliche Publikum fieberte dem Auftritt der türkischen Band „She Past Away“ entgegen. So entlud sich eine gewisse Anspannung, als die beiden Musiker die Bühne unter viel Beifall betraten und mit einer rhythmisch ausgerichteten Darbietung die zahlreichen Besucher mitrissen. Die alles andere als alltägliche Kombination aus Dark Wave bzw. Post Punk und türkischen Texten, die wohl nur ein kleiner Teil der Konzertbesucher verstand, deren zuweilen schmerzlich bittere Bedeutung aber durch die tiefe wehmutsvolle Stimme von Sänger und Gitarrist Volkan Caner bestens transportiert wird, erfreut sich derzeitig größter Beliebtheit. Durch eine intensive internationale Bühnenpräsenz – mittlerweile steht sogar Nordamerika auf dem Tourneeplan – erspielte sich das Duo eine beträchtliche Anhängerschaft. So konnten die Veranstalter das Konzert mit etwa 550 Gästen bereits im Vorfeld als ausverkauft vermelden. Entsprechend dem recht tanzflächenorientierten, im Mai erschienenen Album „Disko Anksiyete“ präsentierte „She Past Away“ eine Auswahl bewegungsanimierender Stücke. In der Tradition der 80er Jahre stehende Synthies und Rhythmen bahnten sich ihren Weg bis in den hinteren Bereich des Saals, wo überschwänglich getanzt und die 2006 gegründete Band mit reichlich Applaus bedacht wurde. Bei aller Ausgelassenheit ging allerdings die der Musik zumindest in Teilen innewohnende Schwermut ein wenig verloren. So schwang die Melancholie bei diesem Auftritt lediglich unterschwellig mit, was jedoch die wenigsten Besucher störte. Im Gegenteil: Das Publikum freute sich über einen beschwingten Konzertabend. Und womöglich fiebern schon Einige dem nächsten Berlin-Gastspiel von „She Past Away“ am 7. November 2020 im bis zu 1000 Personen fassenden Festsaal Kreuzberg, für das bereits Karten erhältlich sind, entgegen.
Fotos: Marcus Rietzsch