16. bis 18. Juli 2004
ST. GOARSHAUSEN, LORELEY FREILICHTBÜHNEIn den ersten Monaten des Jahres 2003 gewannen die bevorstehenden Festivals des kommenden Sommers deutlich an Konturen. Nur das „Zillo“ wollte und wollte sich nicht zu etwas Greifbaren entwickeln. Und dann das AUS. Kein Zillo 2003. Die Enttäuschung war groß. Die düsteren Spekulationen wuchsen sich aus zu Horrorszenarien. Nun, den Sommer überstand ich halt auch ohne Zillo. Aber es fehlte mir schon sehr.
Und dann – wie ein Paukenschlag – die Ankündigung für das Zillo 2004 auf der Loreley!!! Erstens: das Zillo findet statt! Zweitens: in dieser phantastischen Kulisse! Drittens: die letztendliche Bandauswahl!
Die Loreley – also wer die Schönheit der Umgebung nicht durch eigene Erkundungen entdeckt hat, der kann sich durch Fotos auf der Zillo-Seite einen Überblick verschaffen. Gewaltige Kräfte in unvorstellbar früher Zeit haben die Felsplatten hochgehoben. Der Fluss fraß sich dann langsam seine tiefe Rinne. Ich finde das sehr freundlich. Soviel Zeit und Mühe hat die Natur aufgewendet, damit das Schwarze Volk für ein Musik-Ritual eine passende Location bekommt. Danke-schön.
Freitag, der 16. Juli 2004 – ein Linienbus brachte mich und meine riesengroße Tasche voller schwarzer Klamotten von Berlin nach Hof. Von dort dann (nach einem Abstecher in einen Supermarkt, der wirklich sehr viel verkauft…) per PKW mit der wandernden Sonne Richtung Loreley am Rhein. Die Fahrt verlief bis auf eine plötzlich notwendige Umleitung (es war wirklich boshaft: ein Unfall auf einer solch engen Straße!) kurz vor dem Ziel ohne Stau, Unfälle, Wetterunbilden oder anderen sonstigen Misslichkeiten. Die Fahrt auf der Straße am Rhein entlang bot wunderschöne Ausblicke auf romantische Städtchen. Von den Höhen drohten Burgen herab. Der Fluss wand und bog sich schnell strömend. Als Flachlandtiroler begeisterte mich dieser Anblick sehr und ich war in Hoch-Stimmung. Dann die Loreley. Überraschung: schon oben war dann der direkte Weg versperrt. Im Rahmen einer groß angelegten Polizei-Aktion wurden alle Ankommenden nach Drogen und Waffen durchsucht. Fand ich okay. Ärgerlicherweise durfte ich mir meinen Leibes-Visitor NICHT aussuchen…
Der Parkplatz – ein sich neigendes Wiesengelände. Was nicht so dramatisch wäre – wenn, ja wenn man nicht im Auto schlafen würde. Aber da ich nun in der Lage bin, diese Zeilen zu schreiben, war´s wohl doch nicht soooo schlimm.
Das Amphitheater war in Hörweite, so dass wir den Band-Contest der Newcomer zumindest akustisch verfolgen konnten. Wir waren noch mit Einrichten, Sortieren, Umziehen, Markt-Inspektionen und Bändchenholen beschäftigt. So im Großen und Ganzen war es mir recht, den Darbietungen in einer akustisch gedämpfteren Version lauschen können dürfen zu wollen müssen.
Selbstverständlich zollten wir der Show von „Umbra et Imago“ den gebührenden Respekt und erschienen daselbst. Die etwas aufgesetzt wirkende Sado-Maso-Show er-egte dann scheinbar auch eher die Männer-Phantasien. Allerdings konnte die Erregung vorerst nicht kochen, sondern nur köcheln: eine superwichtige Kette (sozusagen ein „tragendes Element“) der Show-Konstruktion zerriss. Die Ketten heutzutage sind wohl auch nicht mehr das, was sie mal waren… den damaligen Raubrittern auf den zahlreichen Burgen drumherum standen gewiss haltbarere Werkzeuge zur Verfügung. Aber mittels Geschick zweier Mitarbeiter gelang eine Reparatur noch während des Auftritts. Unter persönlichen körperlichen Einsatz probten die beiden dann mal das Szenario – was aber nicht wirklich erotisch herüberkam. Die beiden Damen konnten die Stimmung aber allein schon durch ihr äußeres Erscheinungsbild anheizen. Sänger Mozart flocht dann auch einige passende Bemerkungen ein. „Umbra et Imago“ zu sehen und zu hören ist immer ein interessantes Erlebnis… auch wenn man den einen oder die andere im Publikum beobachtete.
Übrigens: der Sound im Allgemeinen war Klasse. Sauber. Und die Stimmen waren gegenüber der Musik gleichberechtigt – sehr angenehm.
Im Party-Zelt – da war natürlich schon einige Zeit Hochbetrieb – fanden sich dann alle wieder. Zumindest versuchten alle hineinzukommen. Das ging schon gerade noch so. Mit Mühe. Aber drinnen bleiben war dann nur den Hartgesottenen möglich. Eine wabernde schnittfeste Masse aus Qualm, Dunst und Hitze barg noch einige Moleküle von Atemluft – die wir mühevoll jagten. Da die Musik aber laut genug war, konnte man auch beim Schlendern dieselbe genießen. Diese Möglichkeit zum Durchatmen nutzten wir nicht allein. Und so waren die Stände der Händler gut besucht. Bei einem dieser Ausflüge entdeckte ich zwischen all dem Üblichen einen Überraschungsgast: dieses blöde Viech mit der Nuss (ich setze voraus, der Film „IceAge“ ist bekannt)… ich hätte nicht erwartet, es an diesem Ort zu treffen.
Als wir unseren schrägen Schlafplatz aufsuchten, waren vereinzelt schon Drosseln mit ihrem Gesang zu hören. Alles war in bester Schlafordnung, bis sich zwei besonders nette und rücksichtsvolle Nachbarn entschlossen, mit extrem lauter Musik sehr individuellen Geschmacks, die gesamte Wiese zu beschallen und uns äußerst unsanft aus dem kurzen Schläfchen zu holen. Vielen Dank auch.
Nun, wir trödelten dann unausgeschlafen und der unerwünschten Musik ausgesetzt herum. Schließlich erkundeten wir die Umgegend, genossen die Wärme der Sonne, um dann auch dem Mittelpunkt des Geschehens zuzustreben. Die Freude an der Musik wollten uns dunkle Wolken verderben und bewarfen uns mit vielen großen Regentropfen. Unser Entschluss, zum Auto zu laufen und Lederklamotten anzuziehen, erwies sich als albern – denn mit Abschluss dieser Aktion war die Sonne wieder da. Also alles retour.
Den heftigen Sound von „:SITD:“ jedenfalls erlebten wir bei Sonnenschein und wir gaben den Körpern Gelegenheit, dem Rhythmus zu frönen.
Stefan von „Das Ich“ nahm dämonisch rot geschminkt und wie immer in teuflisch anmutenden Verrenkungen die Bühne in Besitz. Kraftvoll und ausdrucksstark drängte sich seine Stimme in unsere Köpfe. Stefan nutzte den Auftritt für einen Appell an uns alle. Es waren drei Wünsche. Der Erste, dass die Rechten verschwänden. Neonazis brauche kein Mensch. Kann ich nur zustimmen. Wenn auch die Hintergründe und das „wem-nutzt-es“ ein weites Feld sind. Der zweite Wunsch bezog sich auf das Zillo, auf die 15 Jahre des Zillo, die Treue, und den wachsenden Mainstream. Ja, schon… aber wenn uns Musik gefällt, dann wollen wir sie auch hören. Zwangsläufig sind Produktion und Vermarktung von CDs letztendlich Kommerz. Und ohne die Bands, die man zum Mainstram zählt, wäre kein Festival realisierbar. Suchen und finden wir den Kompromiss – Zillo 2004 war eine sehr gute Mischung (meiner Meinung nach). Stefans dritter Wunsch war: „Auch die Tiere haben das Recht zu leben.“ Ja, man kann das für sich persönlich entscheiden. Um weltweit den Tieren das Recht zuzugestehen – da müsste die Menschheit sehr menschlich werden. Was nicht zu erwarten ist.
Weniger tiefsinnig, dafür (meinem Empfinden nach) mit gesunder Aggressivität brachte das Selbstmordkommando den Kessel zum begeisterten Tanzen.
Übrigens war das Tanzen nicht ganz einfach mangels ebener Flächen. Die Balance auf den Steinreihen zu halten, erforderte doch ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit.
Und dann folgte eines der Projekte von Chris Pohl: „Blutengel“. Zwar wirkte die Darstellung von Sex-Spielchen reichlich plakativ, nichtsdestoweniger wurden damit gewiss erotische Phantasien (zumindest bei einigen Besuchern) angeregt oder auch befriedigt. Das Spektakel auf der Bühne bekam dann aber schnell Konkurrenz „höheren Ortes“ …am Himmel spielten sich dramatische Szenen ab. Eine pechschwarze schwefelgelb gesäumte Gewitterwolke legte sich greifbar nahe auf uns. Blitze um uns herum, unzählig. Krachende Donnerschläge mischten sich mit den Beats der Musik. Und so sah man reihenweise die Köpfe der Zuhörer zum „himmlischen“ Ereignis gedreht. Also ich weiß nicht… die Musik gefällt mir schon ganz gut. Trotzdem zog mich das Naturschauspiel absolut in seinen Bann. Leider war die Schwärze der Wolke nicht nur Dekoration, sondern eine massenhafte Ansammlung von Wasser. Welches sich dann auch über uns ergoss. Wir gehörten zu den Nicht-Schirmträgern, nutzten aber Nylonjacken (solch Quasi-Regenschutz). Das hätten wir uns sparen können. Als „Blutengel“ endeten waren wir bis auf die Haut nass. Also dann los und in aller Ruhe die Kleidung wechseln … ja, ihr vermutet richtig, als wir wieder trocken waren, hörte der Regen auf. Nur sich entfernendes Grollen und ein großer blassbunter Regenbogen bildeten die letzten Zeugnisse des Unwetters.
Für mich stellt sich die Frage, ob es wirklich ausreicht, mich umzuziehen, um den Regen zu beenden und die Sonne scheinen zu lassen. Immer funktioniert das nicht. Hab ich getestet. Vielleicht ist der Loreley-Felsen ein verzauberter Ort…
Jedenfalls bot uns „Skinny Puppy“ dann in aller Trockenheit ein Schauspiel des Irrsinns. Ich meine, einen Knall haben wir ja mehr oder weniger alle. Dieser Sänger jedoch scheint total durchgeknallt zu sein. Aber man muss ihn mal live erlebt haben – drückt er doch auf seine Art Gefühle aus, die uns oft umtreiben und uns keine Ruhe gönnen. Das skurril anmutende Outfit verstärkte den Eindruck, in eine Alp-Traum-Welt abgetaucht zu sein. Krass wurde die Welt, wie sie ist, durch die Videos ins grelle Licht gesetzt.
Jaja, natürlich lief nebenher schon Party im Zelt. Sogar für mich fanden sich Stücke, die mich zum Wippen brachten. Die Luft war nicht besser, als den Abend zuvor. Aber: da hatten wir ja schon eine Lösung gefunden.
Das Wecken vollzog sich am Sonntag-morgen wiederum durch rücksichtsloses Getöse. Ich hoffe sehr, dass wir solchen Zeitgenossen nicht öfter begegnen. Warum eigentlich bin ich so friedfertig? Muss ich mir so etwas gefallen lassen?
Nun, leider explodierte deren Auto nicht, die geistreichen Knorkator-Texte und das tendenziöse Geschwätz eines Über-Klugen (womit fängt eigentlich rechts-sein an?) verschönten uns also den Morgen und Vormittag – bis wir uns endlich für eine angenehmere Geräuschkulisse entscheiden konnten.
„Götterdämmerung“ boten den Auftakt für die Sonntagsveranstaltungen. Der Name suggerierte eigentlich etwas ganz anderes, als dann zu Gehör gebracht wurde. Die Sonne biss sich auf meinen Schultern fest. Egal. Es gab viel zu hören und ich wich nicht von der Stelle.
Die Spielzeit für „D.A.F.“ war wohl doch etwas kurz geraten. Schon im Vorfeld wurde über diese Entscheidung des Veranstalters gerätselt. Stimmung machen können die aber auf alle Fälle. Und die wunderbare Akustik ließ einen mehr, als nur die Schlagworte verstehen. Und wer wollte, konnte in zweifacher Hinsicht verstehen. Ein paar persönliche Worte von der Bühne trafen zumindest bei mir auf sehr offene Ohren.
Rogue ersetzte seine sonst üblichen Klettertouren (keine Möglichkeiten!!!) durch besonders häufige und besonders lange Wanderungen zwischen den Reihen. Mit Händeschütteln und Umarmungen zog er seine Bahnen. Seine unverkennbare Stimme, die temperamentvolle Musik und seine eigene herzliche Ausstrahlung ließen den Auftritt der „Crüxshadows“ zu einem vollen Genuss werden.
Auf der Loreley fanden wohl auch früher Festivals statt. Ich war das erste Mal dort. Und ich fand es phantastisch. Die Gegend ist toll. Aber am allerbesten gefallen mir diese amphitheaterartig angeordneten Reihen aus Stein. Dadurch kam nicht nur eine gewisse Ordnung zustande. Denn vor allen Dingen: ich als Bonsaigermane konnte mal die Bühne sehen, obwohl ich nicht in der ersten Reihe stand. Was mich nun allerdings nervte, waren die ständig in die Szenen laufenden Kameraleute, deren Auftreten ich als aufdringlich empfand. Ja, ich weiß, Live-Videos können nun mal nur so entstehen. Muss ich halt durch. Wie mag den Künstlern zumute sein?
So, nun Strich drunter. Das war ein wunderbares Festival. Und ich freue mich wahnsinnig auf nächstes Jahr. Dankeschön „Zillo“. Dankeschön „Contour-Music“.