11. - 12. August 2007
HILDESHEIM, FLUGPLATZEs ist Montag, der 13. August 2007. 8 Uhr. Vor knapp 10 Stunden ging das diesjährige M’era Luna Open Air zu Ende. Seines Zeichens eines der größten Festivals weltweit für die Fans von Dark Rock, Wave, Electro, Synthie Pop, Mittelalter Metal und diversen anderen musikalischen Richtungen, welche gerne unter dem Label „Gothic“ genannt werden. Ich stehe nun mit ziemlich gemischten Gefühlen auf einem der Parkplätze unweit des Campingplatzes und des eigentlichen Festivalgeländes.
Zahlreiche unbeantwortete Fragen schießen mir durch den Kopf:
Was hat die Band „Tool“ zur Untersagung, den Bandnamen auf den offiziellen Festivalshirts aufzuführen, veranlasst? Warum hinterlassen viele Besucher ihre Müllberge mitten auf der Camping- und Parkwiese, wo doch jeder Gast einen Müllbeutel erhält und ausreichend Müllcontainer bereitgestellt wurden? Weshalb werden hinter die Scheibenwischer geklemmte Flyer achtlos auf die Erde geworfen? Aus welchen Gründen werden japanische Rockbands von den „Szene-Magazinen“ so gefördert? Warum können manche Auftritte nicht ohne Gehörschutz genossen werden? Weshalb stellen sich Fans bei brütender Hitze in eine lange Schlange, nur um ein Autogramm von einem Musiker zu ergattern? Weshalb ist die „Farbe“ Rosa auf dem Vormarsch? Woher nimmt Eskil Simonson – Sänger der schwedischen Band „Covenant“ – die Gelassenheit, jeden Fotowunsch der Fans zu erfüllen? Fragen über Fragen.
Aber der Reihe nach:
Als ich am Samstag, kurz bevor die erste Band die Bühne betreten sollte, das Gelände in Hildesheim erreicht habe, konnte man anhand von Pfützen und wassergetränkten Wiesen erahnen, welchen Widrigkeiten die Zeltplatzbesucher in der vergangenen Nacht ausgesetzt waren. Ein Lob muss hier dem Veranstalter ausgesprochen werden, welcher gut auf die heftigen Regenfälle reagiert hat und durch das Auslegen von Stroh eine Moorlandschaft verhindern konnte.
Höhepunkte gab es am ersten Festivaltag wohl für jede musikalische Ausrichtung. So sorgten schon am Nachmittag „Covenant“ mit eigenständigen elektronischen Klängen für eine ausgelassene Stimmung. Leider sollten die veranschlagenden 45 Minuten viel zu kurz sein. Freunde des Mittelalters dürften sich hingegen über Auftritte von Schandmaul und Cultus Ferox (welche kurzerhand länger spielen konnten, da die norwegische Band „Animal Alpha“ von ihrem Navigationsgerät irgendwo nach Thüringen geleitet wurden und somit nicht auftreten konnten) freuen. Auch die Gitarrenfraktion wurde bedient – u.a. von den Urgesteinen „My Dying Bride“ und den japanischen Gruppe „Dir En Grey“, welche bei mir nur ein großes Fragezeichen hinterließen. Instrumental vielleicht mit dem New Metal der 90er Jahre zu vergleichen, kann der „Sänger“ hingegen wohl in keine Schublade gesteckt werden. Engagement kann man ihm sicherlich nicht absprechen. Im Gegenteil: Er sprang, schrie, kreischte. Und letztendlich war dies auch das Problem. Es klang doch sehr nach einer unvorstellbaren Qual. Noch grollte er relativ tief vor sich hin, um im nächsten Moment wie wild und andauernd zu kreischen, als hätte ihn eine unsichtbare Kraft bei den Hoden gepackt. Unfassbar. Sogar als ich den Parkplatz erreicht hatte, um mich hier etwas zu erholen, empfand ich die Klänge, welche vom Wind zu mir getragen wurden, als Belästigung. Sorry, liebe Fans dieser musikalischen Darbietung, ich habe es wirklich versucht. Aber mir bleibt es einfach ein Rätsel, was diese Band so überragend machen soll.
Wie zu erwarten war der „heimliche“ Headliner „And One“. Sänger Steve Naghavi begrüßte die Fans mit den Worten „Ich erkläre das M’era Luna Festival 2007 für eröffnet!“. Musikalisch bewegen sich „And One“ auf den Spuren von „Depeche Mode“, wo man sich gerne auch mal unverhohlen und schamlos bedient. „And One“ sind trotzdem ein Original. Allen voran natürlich der smarte Frontmann Steve Naghavi, welcher mit seiner amüsanten Arroganz wiederholt das Publikum zum Schmunzeln brachte. Selbst konnte er sich aber auch ein Lachen nicht verkneifen, als bei einem langsameren Song einige Besucher ausgelassen Pogo getanzt haben. Wie im Flug vergingen die 75 Minuten Spielzeit. Und ja verehrter Leser, wie vermutet verließen „And One“ die Bühne mit den Worten „Wir erklären das M’era Luna 2007 nun offiziell für beendet. Ihr könnt nach Hause gehen!“.
Natürlich pilgerten die Fans elektronischer Sounds nicht in Scharen nach Hause, sondern zur zweiten Bühne, auf welcher anschließend „Suicide Commando“ aufgetreten ist. Der Eingang zum Hangar, welcher diese Bühne „beherbergte“, stellte sich hier wiederholt als Nadelöhr heraus. Die Halle selbst schien dem Platzen nahe. Wer dies heil überstanden und noch etwas zu harten Beats getanzt hatte, „informierte“ sich im Anschluß noch kurz über die Qualitäten des eigentlichen Headliners „Tool“. Auf der Bühne sah man vier riesige Videoleinwände, über welche diverse Filmchen und Animationen flimmerten. Ansonsten sah man… eigentlich nichts. Einzig der Schlagzeuger bekam Licht ab. Der Rest der Gruppe suchte hauptsächlich den Schutz der Dunkelheit. Sänger Maynard James Keenan stand im hinteren Teil der Bühne seitlich oder sogar mit dem Rücken zum Publikum vor einer der Leinwände. Interaktion mit dem Publikum war hier Fehlanzeige. Die Musik sollte also für sich sprechen. Vielen Besuchern war dies wohl zu wenig und somit lichteten sich zunehmend die Reihen. Der erste Tag neigte sich dem Ende entgegen.
Wie auch schon am Samstag hatte man auch am zweiten Festivaltag Glück mit dem Wetter. Am Himmel war kaum eine Wolke zu sehen. Sonnencreme war Pflicht, wollte man die abwechslungsreichen Auftritte ohne Sonnenbrand genießen. Auch der Sonntag bot für jeden Geschmack etwas. Man konnte wählen zwischen harten Gitarren, rockigen Elementen und elektronischen Sounds. Ein Highlight sollte sicherlich der Auftritt von „The Crüxshadows“ sein. Sänger Rogue ist bekannt für seine Kletteraktionen und Ausflüge ins Publikum. Etwas befremdlich und auch peinlich waren nur die beiden Hupfdohlen – Entschuldigung – Tänzerinnen in ihren knappen, pinkfarbenen Outfits. Sie mögen ja beide recht ansehnliche Damen sein, leider erinnerten diese einstudierten Bewegungen mehr an eine „Bravo-Supershow“ oder ähnliches.
Ein Geheimtipp waren hingegen „32Crash“ bestehend aus den beiden Mitgliedern der Gruppe „Implant“ und Front242-Frontmann Jean-Luc de Meyer. Die drei Herren bewiesen, dass man auch im Jahre 2007 noch innovativen Electro kreieren kann. Leider stieß dies auf zu wenig Beachtung. Anders beim anschließenden Auftritt von „Welle:Erdball“: die Halle füllte sich schnell. Und sofort als der angebrachte Vorhang aufgezogen wurde, war die Stimmung kaum zu übertreffen. Sich bewegende Leiber wohin man blickte.
Als riesige Besucherscharen das Festivalgelände verlassen hatten, sorgten „The Jesus And Mary Chain“ für einen weniger beachteten Abschluss. Vereinzelt wurde ausgelassen getanzt. Trotzdem war die Resonanz in Anbetracht eines Headliner-Auftritts doch sehr gering. Manchen am Nachmittag auftretenden Künstlern wurde mehr Beachtung geschenkt. Vielen Besuchern dürfte die schottische Band auch kaum ein Begriff gewesen sein, hatte man doch lange Zeit kein Lebenszeichen von ihnen gehört. So traten zahlreiche Besucher, welche vorher den Klängen von „Deine Lakaien“ gelauscht hatten, schon vorher den Heimweg an. Deine Lakaien gaben in Hildesheim eines der wenigen gemeinsamen Konzerte mit der Neuen Philharmonie Frankfurt. Ein ganz besonderes und somit viel beachtetes Erlebnis. Aufgrund der Open-Air-Bühne dürfte sicherlich nicht die gleiche Atmosphäre zustande gekommen sein, wie bei den Auftritten in gediegenen und bestuhlten Konzertsälen. Die Fans schienen aber trotzdem zufrieden und glücklich zu sein.
Neben der Musik standen auch wieder die Besucher selbst im Mittelpunkt. Auffällige und extravagante Kleidungsstücke und Outfits zogen die Blicke auf sich und waren neben hervorragender musikalischer Darbietungen ein Highlight. Hierbei hatte ich aber auch zunehmend das Gefühl, dass die Eine oder der Andere in eine Verkleidung schlüpfte und ich mich auf einer karnevalistischen Veranstaltung befand. Die Gothic-Kultur scheint zumindest teilweise in der Mitte der Spaßgesellschaft angekommen zu sein. Leider scheint Ästhetik und Stil – sowohl bei der Kleidung als auch beim Verhalten – nur noch eine untergeordnete Rolle zu spielen. Vielleicht ist dies aber auch nur eine kurze Momentaufnahme, welche im nächsten Jahr keinen Bestand mehr haben wird. Ich bin jedenfalls gespannt…
Fotos: Marcus Rietzsch