27. Dezember 2014
BERLIN, BI NUUEin Kapitel Musikgeschichte ging an diesem Abend zu Ende. Die legendären belgischen Electro-Pioniere nahmen Abschied. Nachdem Marc Verhaeghen – Gründer und einziges konstantes Mitglied von „The Klinik“ – sich bereits 2009 aus gesundheitlichen Gründen von der Bühne zurückgezogen hat (seither vertreten durch Peter Mastbooms), zog die Band nun einen Schlussstrich.
Diesen musikhistorisch bedeutsamen, als „Last Show“ angekündigten Auftritt wollten viele nicht verpassen. Ein letztes Mal das komplette Klinik-Liveerlebnis genießen, ein letztes Mal den kühlen elektronischen Klängen live lauschen, sich von der rauen Rhythmik gefangen nehmen lassen, die Videoinstallation im Hintergrund betrachten.
So war die Veranstaltung restlos ausverkauft und der Berliner Club „Bi Nuu“ bereits bei der Vorgruppe „No Sleep By The Machine“ sehr gut gefüllt. Und die skandinavische Band konnte sogleich viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Zu Recht. Verstanden es die drei Schweden doch, eine musikalische Spannung aufzubauen. Kein einfallsloses Gestampfe, sondern Rhythmik mit Atmosphäre und Detailreichtum, was für den intensiven Hörer so manche Entdeckung bereithielt und -hält. Interessant beispielsweise die rau klingenden Percussions bei dem Titel „Yellow mica“. Dazu eine eingängige Melodieführung, die sich im Kopf festsetzt. „No Sleep By The Machine“ stehen für einen differenzierten Sound, ganz in der Tradition solch wegweisender Bands wie „Skinny Puppy“ und „The Klinik“. Im Mittelpunkt Sänger TB, der voller Leidenschaft und gestenreich das Dargebotene unterstrich. Mit intensivem, durchdringendem Blick musterte er jeden Einzelnen in der ersten Reihe. Überaus energisch vorgetragen konnten die mal direkteren, mal komplexeren Strukturen begeistern. Ein grandioses Konzert, das schon vor dem Höhepunkt des Abends für viel Freude sorgte.
Nachdem alles für den Auftritt von „The Klinik“ bereit stand, vergingen endlose 30 Minuten, in denen eine Augenoperation auf die Hintergrundwand projiziert wurde (Bilder, die wohl nur wenige mit großer Begeisterung betrachteten), ehe endlich Dirk Ivens und Peter Mastbooms – traditionell in schwarze, lange Mäntel gekleidet und die Köpfe mit Mullbinden bandagiert – die Bühne betraten. Durch die Verhüllung wirkten die beiden Protagonisten alterslos. Als wäre seit dem ersten Auftritt von „The Klinik“ nicht über ein Vierteljahrhundert vergangen.
„The Klinik“ – Anfang der 1980er Jahre von Marc Verhaeghen gegründet – dürfen sich (ohne unbescheiden zu klingen) wohl als eine der einflussreichsten Electro-Formationen bezeichnen. Neben „Front 242“ prägten sie den typischen belgischen Electro-Sound, der so viele Anhänger verzückte und auch heute noch verzückt.
In einer Art Retrospektive wurden ein letztes Mal Klassiker wie „Moving hands“ oder „Walking with shadows“ live dargeboten. Ein Kompliment muss hierbei nicht nur den beiden Musikern auf der Bühne, sondern ebenso Eric van Wonterghem (von 1985 bis 1987 bei „The Klinik“ tätig, zusammen mit Dirk Ivens u. a. bei „Absolute Body Control“ aktiv) ausgesprochen werden, der hinter dem Mischpult für einen perfekten Sound sorgte und so wesentlich zu einem gelungenen Konzert beitrug. Kalte synthetische Klangteppiche, mitreißende Basslinien, minimalistische Texte, sich in Kopf und Körper schleichende Takt- und Tonfolgen. Einfach großartig. Hände wurden in die Höhe gestreckt, Leiber bewegten sich im Rhythmus. Die Stimmung hätte kaum enthusiastischer sein können. Und so war es nicht verwunderlich, dass die beiden Protagonisten nach ihrem ersten Abgang noch drei Mal zurück auf die Bühne „gelockt“ wurden. Berauscht von diesem Abend dürfte sich der Wehmut in Anbetracht des Abschieds in Grenzen gehalten haben – zumindest vorerst. Die melancholischen Gedanken kommen aber bestimmt…
Fotos: Marcus Rietzsch