Advocatus Diaboli – Eine Geschichten-Sammlung herausgegeben von Alisha Bionda

Auszug aus Wikipedia: „Der lateinische Ausdruck Advocatus Diaboli, zu deutsch ‚Anwalt des Teufels‘, bezeichnete in der römisch-katholische Kirche die Person, die im Verfahren der Selig- bzw. Heiligsprechung Argumente gegen die besprochene Persönlichkeit zu sammeln und vorzutragen hatte.
Im weiteren Sinn wird im Bereich der Rhetorik jemand als advocatus diaboli bezeichnet, der mit seinen Argumenten die Position der Gegenseite vertritt, ohne ihr selbst anzugehören. Umgangssprachlich wird damit auch eine Person bezeichnet, die alles hinterfragt und grundsätzlich die Gegenposition einnimmt.“

Mit den Informationen über Alisha Bionda, die sich für die vorliegende Geschichten-Sammlung verantwortlich zeigt, könnte man schon beinahe selbst ein Buch füllen. Deshalb sei an dieser Stelle auf ihre Präsenz im weltweiten Netz verwiesen: www.alisha-bionda.net.

Als die bekannte Autorin und Herausgeberin ihren Aufruf an viele Autoren der düsteren Phantastik startete, beteiligten sich auch Erfolgsautoren. So ist die vorliegende Anthologie absolute Höchstklasse.

Die Autoren in alphabetischer Reihenfolge: Ascan von Bargen, Tanya Carpenter, Marc-Alastor E.-E., Nicolaus Equiamicus, David Grashoff, Aino Laos & Christoph Marzi, Andrä Martyna, Dave T. Morgan, Thomas Plischke, Sören Prescher, Gian Carlo Ronelli, Bernd Rümmelein, Melanie Stone, Torsten Sträter.

Alisha Bionda hat diese Sammlung wunderschön verpackt, verschiedene Schriftarten unterstützen das Hineinfinden in die Sprache verschiedener Personen, kleine Graphiken trennen die einzelnen Szenen innerhalb einer Geschichte und aufregend schöne Grafiken als jeweilige Einleitung.
Die jeweiligen Kurzgeschichten drehen sich um den Teufel, Luzifer, den Herrn der Finsternis, den gefallenen Engel, Belzebub oder den Leibhaftigen – wie auch immer man dieses Wesen betiteln möchte. Kurzweilig, unterhaltsam, gruselig, phantastisch, ironisch bis witzig. Aber geht es wirklich um den Teufel als solchen? Meiner Meinung nach wird hier die Faszination des Bösen deutlich. Und beim Lesen erkennt man das Böse eher im Menschen – als denn in einem imaginären Teufel. Ob in Historie verpackt oder in der Moderne spielend: Nicht der Teufel verführt die Menschen, sondern die Menschen suchen ihn, wollen ihn noch übertrumpfen an Gemeinheit. Sie biedern sich an. Vollbringen die perfidesten Untaten, um sich für einen Posten in der Hölle zu qualifizieren. In den schillernsten Farben werden menschliche Ungeheuerlichkeiten dargestellt, um dem Höllenfürsten zu gefallen. Oder auch, um ihn zu hintergehen, ihn vom Thron zu stürzen, seinen Platz einzunehmen.

Ein „Bewerbungsgespräch“ beim Teufel: „Ein verficktes Casting. Ist das auszuhalten?! Ein beschissenes Bewerbungsgespräch mit dem Teufel höchstpersönlich!“ Man könnte den potentiellen Arbeitgeber auch in einen Energie-Konzern versetzen. Beispielsweise.

An anderen Stellen sagt der Teufel: „Wohl spreche ich mit den Menschen, doch alle ihre Entscheidungen tragen sie selbst. Gott der Herr hat ihnen den freien Willen geschenkt, damit sie selbst entscheiden, wie sie ihr Leben leben. Ich? Ich vermag nichts zu tun, was Gott der Herr nicht ausdrücklich zulässt oder mir befiehlt.“ Oder auch: „Das da draußen tendiert eindeutig zu einer Überbevölkerung, und das bedeutet, dass es hier unten immer mehr zu tun gibt.“

Kräftige Hiebe gegen unser aller Schienbeine: „Allein die Kriege, die noch geplant sind, werden für eine Schwemme hier unten und da oben sorgen. Außerdem ist der Pool an Seelen begrenzt. Der da oben hatte nicht erwartet, dass ihr euch vermehrt wie die Kaninchen.“

„Warum denken immer alle, sie müssen mir zu Gefallen sein? Dieser Schwachsinn, den die Menschen immer in meinem Namen verzapfen. Manchmal glaube ich, dass das auf SEINEN Mist gewachsen ist.“ – So grummelt der Herr der Finsternis und verdächtigt den Herrn des Lichts, ein perfider Anstifter zu sein. „Ihr Menschen seid seine größte Fehlproduktion. Wir Engel haben IHM ja nicht mehr gereicht. Sein Spieltrieb und seine Hinterhältigkeit sind wirklich unbeschreiblich.“
Lügen, Betrügen, Unschuldige in den Selbstmord treiben, Insidergeschäfte und Ehebruch sind noch lange keine Kriterien, die einen Menschen dazu prädestinieren, Aufnahme in der Hölle zu finden. Und ja, es gibt immer noch Schlimmeres, was Menschen anstellen können und wollen. Und dies auch tun.

Reaktion auf die Selbstdarstellung bei einem weiteren Bewerbungsgespräch: „Sehr interessant, sehr interessant. Lobbyarbeit für die Rüstungsindustrie, einschlägige Erfahrungen in der Pharmabranche, exzellenter Umgang mit risikobehafteten Finanzprodukten. Gleichzeitig beste Verbindungen zum organisierten Verbrechen, Terrorvereinigungen und okkulte Splittergruppen. Sie sind ein begnadeter Netzwerker.“ Und das ist teuflisch? Wir bezeichnen das gern so. Zu gern. Denn leider ist es menschlich.

Menschlich. Ja, leider. So ist unsere Welt. Unsere Menschenwelt. „Vorausgesetzt, mir werden von Ihrem Unternehmen die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt, deuten die von mir aufgestellten Projektionen zuverlässig darauf hin, dass wir binnen zehn Jahren erste wichtige Meilensteine zumindest in der westliche Hemisphäre erreichen können. Die völlige Enttabuisierung der Zoophilie und der Verknüpfung von Lust und körperlicher Gewalt an unfreiwilligen Sexualpartnern. Die endgültige Zerschlagung des Solidargedankens in jedweder Form. Eine weitreichende Abstumpfung gegenüber dem Führen von Kriegen und dem Begehen von Völkermorden. Die Hölle auf Erden ist zum Greifen nah. Man braucht nur hier und da die eine oder andere Entwicklung stärker anstoßen.“ (Ein Bewerber in der Hölle)

Diese willkürlich ausgewählten Zitate wurden verschiedenen Geschichten entnommen. Die Geschichten sind grauslich und skurril, in faszinierender Sprache spannend geschrieben. Leicht lesbar und man atmet sie förmlich ein. Und doch sind die Erzählungen mehr, als Unterhaltung aus dem Phantastik-Genre. Ein Zerrspiegel der Menschenwelt. Diese Interpretation fällt umso leichter, als der Teufel meist elegant und distinguiert daherkommt. Typisch für einen Manager eines Groß-Unternehmens.

„Die klimatischen Bedingungen in der Hölle sind sicher unerfreulich, aber die Gesellschaft dort wäre von Interesse.“ – Oscar Wilde

„Die Hölle – das sind die anderen.“ – Jean Paul Sartre

Ein Lese-Erlebnis mit diabolisch-kritischer Menschenbetrachtung.

Edition Roter Drache
Anthologie – Düstere Phantastik
Fester Einband, 336 Seiten
ISBN: 978393945922

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