Philipp Schaab – Gewitterdämmerung

Gedichte über Welt- und Sonnenuntergänge

Nichts scheint schwieriger, als eine Rezension über Lyrik zu schreiben. Zu kryptisch wirken meist die Verse. Und je mehr man sich bemüht, den Sinn herauszufinden, den der Verfasser hineingelegt hat, umso mehr entfernt man sich davon. Wenn man sich aber „einlässt“ und sich selbst, das eigene Fühlen in den Worten sucht, öffnen sich die verborgenen Welten.

„Monde, Wälder, Naturlandschaften“ lautet der Titel des ersten Teils, in dem ich mich wiederfinden kann. In Verse gefasste Gedanken über den tiefen Wald, den man durchschreitet. Die Mystik, die vom Mond ausgeht, vom unheimlich glucksenden Moor oder von der Wellenweite des Meeres sind sehr bekannte Empfindungen. Jeder, der sich dem Zauber der Natur nicht entziehen kann, wird in den Gedichten von Philipp Schaab ein Stück dieses Zaubers finden.

Der zweite Teil ist betitelt mit „Geschlechterschl(a)echtereinen und kleinere Tragödien“. Ja, richtig, hier werden Beziehungen jeglicher und seltsamer Art besungen. Verlassen werden, falsche Hoffnungen, trügerischer Flirt – all die Katastrophengefühle, die man dabei durchlebt, sind auf fast „blumige“ Weise beschrieben. Mit der Symbolik der Natur malt Philipp Schaab schmerzliche Bilder. Die Schlacht des Lebens. Bedrückend der „Schwanengesang auf ein Schlachthaus“, bei dem sich alles umkehrt. Nachdenkenswert.

Wahrhaft zutreffend gewählt ist der Name des dritten Teils: „Das dunkle Kapitel“. Es ist das Dunkel der Welt, das nicht direkt vor unserer Haustür beginnt. Die nüchternen Berichte im Fernsehen bringen uns die Attentate, Kulturbarbareien, Entführungen, grauenhaftes Morden zwar ins Wohnzimmer. Letztendlich bleibt es doch weit weg. „Das dunkle Kapitel“ zeichnet jedoch wortreich und mit großen Emotionen Details dieser entfernt stattfindenden Ereignisse. Was man sonst oft erfolgreich verdrängt… Deutschland wird am Hindukusch verteidigt. Verdrängt. Die letzte Zeile des Gedichts „Westliche Dämmerung“: „Wälzt grausam sich der Schatten des Halbmondes“. Die Verse verursachen Beklemmungen. Das, was man nicht sehen und nicht hören will, ist trotzdem Realität. Die Worte von Philipp Schaab sind wie Schnitte ins Fleisch. Auch wenn sie noch so verklausuliert daherkommen.

In „Individuum und Gesellschafter“ gibt es noch mehr Verse, die das Leben beschreiben. Eigentlich krasse Schilderungen aber fast verschwommen formuliert. Unendlich trauriger Klang. Aussichtslos. Krankheit und Tod, Vergessen und Einsamkeit, Siechtum und Depression. Das will ich nicht wissen? Nein, aber die Gedanken dazu sind gerade wieder wach.

„Stadtkaleidoskop“ klingt so locker, leicht. Buntes Treiben? Was flüstert eine Stadt? Flüstert sie von der Aussichtslosigkeit im Abgrund der Stadt, von der sterbenden Industrie, von den Verlorenen des Wirtschaftswachstums? Man muss nur die Fenster öffnen und gut zuhören.

Dieser Gedichtband ist „schwierig“, denn er bietet keine leichte Kost. Die schöne heile Welt des TV bildet sich hier in keinster Weise ab. Die „Gewitterdämmerung“ greift an, rüttelt an den Schutzzäunen mit gewaltigen Worten. Das mag schmerzen, ist aber wichtig, um nicht den Bezug zur wahren Welt, zum wahren Leben zu verlieren. „Gewitterdämmerung“ – wo die gewaltigen Worte in sanfte Formulierungen gebettet sind. Das Dunkel masochistisch farbenfroh illuminiert.

Wer ist dieser Autor, der sich keinem noch so heiklem Thema verschließt? 1984 am westlichen Rande des Odenwalds geboren studierte er Religionswissenschaft, Mittlere und Neue Geschichte sowie Geographie in Heidelberg und Krakau. Seit 2006 lässt er von sich lesen mit Gedichten, Essays und Anthologien. Und nun dieser Gedichtband für offene, kritische und nachdenkliche Menschen.

Softcover
102 Seiten, 19 x 13,5 cm
ISBN 978-3-943876-83-3
Edition Reimzwang
mit Bildern von Marcus Rietzsch

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