9. November 2016
BERLIN, HEIMATHAFEN NEUKÖLLNKein Jahr ist vergangen, als Chris Corner mit „IAMX“ das letzte Mal Stadion in seiner ehemaligen Wahlheimat Berlin machte. Unser Resümee des Auftritts vom Dezember 2015 fiel überschwänglich aus. Und auch diesmal wurden wir nicht enttäuscht.
Doch zuerst irritierte die bei der Einlasskontrolle gestellte Frage, ob ich Glitzerkram dabei hätte. Die Erinnerung an die Glitzeroffensive einiger Fans während des letztjährigen Konzerts lässt diese Frage aber in einem anderen Licht erscheinen. Erfahrungsgemäß hat man nach dem Verstreuen unüberschaubarer Massen winziger, hartnäckig in jede Ritze vordringender, funkelnder Partikel noch Jahre seine Freude daran. Diesmal sollten Glitzerexplosionen wohl vermieden werden.
Dicht gedrängt bildete sich schon zeitig ein großer Pulk besonderer Fans vor der Bühne. Um 21 Uhr – als offizieller Beginn des Konzerts ausgewiesen – befand sich der „harte Kern“ bereits in lautstarker höchster Aufregung. Einige Minuten sollte das Publikum aber noch auf die Folter gespannt werden, ehe Jon Siren (Schlagzeug), Janine Gezang (Keyboard, Synthesizer, Bass und Gesang) und Sammi Doll (Synthesizer, Keyboard, Gesang) ihre Plätze einnahmen und überschwänglicher Beifall aufbrandete, untermalt mit Rufen und Kreischen. Als schließlich Chris Corner die Bühne betrat, schien der zu unserer Verwunderung zwar gut, aber nicht komplett gefüllte Saal zu bersten. Der erste Titel schlug förmlich wie eine Bombe ein und animierte die Anwesenden zu ausgelassenen Bewegungen. Soviel Temperament als Einstieg! Der Auftakt zu einem wunderbaren Abend, bei dem sich die große Energie der Musiker und der Klänge ohne Umwege auf die Besucher übertrug.
Kleidungstechnisch gab es hingegen eine Art Sparprogramm. Nicht nur die beiden Damen waren in knappe Höschen und Netzstrümpfe gehüllt, auch Chris Corner präsentierte sich entsprechend spärlich gekleidet. Zudem wippte auf einer extravaganten Kopfbedeckung eine Unzahl von Schwanzfedern von wahrscheinlich vollkommen musikalisch desinteressierten Gockeln.
Bekanntes und Neues wechselten sich ab. Melancholisches und Kraftvolles. Das Publikum folgte allem mit viel Enthusiasmus. Arme wurden in die Luft geworfen, die Körper nahmen der Takt auf und setzten ihn in rhythmische Bewegungen um. Janine Gezangs akzentuierte Mimik und Körpersprache heizte die Menge zusätzlich an.
Auf eine Absperrung bzw. Graben verzichtend ragte der Bühnenvorbau direkt in die Arme der weiblichen Fans hinein. Was Chris Corner gründlich ausnutzte und sich am „Bad in der Menge“ mit „Anfassen erlaubt“ erfreute. Bei ruhigeren Passagen und Stücken konnte man das hervorragende Talent des Sängers genießen. Perfekte Beherrschung der Stimme, reiche Modulation. Wunderbare, träumerische Melodien.
Als die übliche Pause eintrat, bis der lautstarken Forderung nach einer „Zugabe“ nachgekommen wurde, waren wir verwirrt. Jetzt schon? Seltsam. Der verdutzte Blick auf die Uhr offenbarte, dass die leidenschaftliche Darbietung von „IAMX“ unserem Zeitgefühl einen Streich gespielt hatte. So kostet wir noch jede einzelne Note der reichlich gebotenen Zugaben aus, bevor nach 1 ½ Stunden die Saallichter angingen. Rasend schnell, viel zu schnell fand dieses umwerfende Konzert ein Ende… gefühlt allerhöchstens nach einer Stunde…
Fotos: Marcus Rietzsch
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