Nils Franke – Grenzgänger zwischen Underground und Hochkultur

Trophäe (Detail)

Manch Betrachter der Bilder von Nils Franke dürfte sich ungläubig und verwundert die Augen reiben. „Fliegen? Sind das wirklich Fliegen?“ Ja, durchaus. Dreidimensional und „in Farbe“ bilden sie bei einigen Werken des aus Radebeul stammenden Künstlers einen überraschenden Blickfang. Ein „Material“, das verstörend wirkt.

Doch insbesondere die Kombination aus gefälliger Normalität und abstoßender Absurdität löst beim Betrachter Unwohlsein aus. So sind die Arbeiten des Meisterschülers von Prof. Peter Bömmels zuweilen schizophren. Einerseits gemalt wie vor 100 Jahren, andererseits realistisch wie eine moderne Fotografie. Die nostalgischen Porträts – teils zerknittert, teils zerkratzt – wirken in oft überdimensionierten pompösen Rahmen verloren.

In der Vergangenheit beschäftigte sich Nils Franke mit Musik und Sport. Doch „in der Kunst liegt die größtmögliche Freiheit der ‚sinnvollen‘ Tätigkeit und Entwicklung – handwerklich wie auch geistig.“ Und so nahm er 2004 ein Kunststudium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig auf, welches er 2011 mit Diplom abschloss. Von 2012 bis 2015 folgte das Meisterschülerstudium an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden.

Die künstlerische Tätigkeit, die er seit einigen Jahren hauptberuflich ausübt, ist ebenso ein Ausbruch aus einem starren Arbeit-Freizeit-Rhythmus. „Ich könnte als Künstler auch schreiben oder musizieren, Skulpturen erstellen, Videos drehen und so weiter. Ich kann mich mit den unterschiedlichsten Fragestellung des Diesseits und Jenseits auseinandersetzen, ohne darauf angewiesen zu sein, konkrete oder ‚trockene‘ Antworten geben zu müssen.“ Dementsprechend wurde durch seine künstlerische Begabung und Betätigung und der Vielfalt seiner Interessen und Aktivitäten frühzeitig der Grundstein für die jetzige Lebens- und Schaffensweise gelegt.

Nach eigener Aussage sind „delikate Bilder für den genussvollen Menschen“ sein Ziel. Inspiriert von alten, Anfang des letzten Jahrhunderts aufgenommenen Porträtaufnahmen, bei deren Entstehung die abgelichteten Menschen misstrauisch in die Kamera starrten und bewegungslos abwarten mussten, bis die damals übliche lange Belichtungszeit ein Ende hatte, bannt er diese Unsicherheit mit Ölfarben auf ein neues Medium.

Besonders die Darstellungen von Kindern bringen wechselvolle Gefühle hervor. Wie mag es diesen Kindern zu jener Zeit ergangen sein? Konnten sie unbeschwert aufwachsen? Oder waren Kriegswirren und wirtschaftliche Entbehrungen Ursache für eine viel zu früh endende Kindheit? Ist der ängstliche Blick ex aequo Symbol für eine schmerzliche Gegenwart und Sinnbild für eine unsichere Zukunft?

Doch müssen dem Künstler, der sich als „Grenzgänger zwischen Underground und Hochkultur“ versteht, nicht andere Absichten unterstellt werden? Eine nähere Betrachtung – beispielsweise des Werks mit dem Titel „Arielle“ – ändert die Assoziationen. Denn neben dem Kind liegt ein vergammelter Fisch. Eine verwirrende Entdeckung, die Fragen aufwirft, aber keine augenscheinlichen Antworten liefert.

Das zerschlissene Bild der „Justin“ ist von einem breiten Passepartout aus grünschillernden Schmeißfliegen eingefasst. Und erneut vermischen sich Abscheu, Verwirrung und Neugier. Die „Edelsteine der Lüfte“, wie die Fliegen von Nils Franke bezeichnet werden, finden sich in vielen Werken des mehrfach ausgezeichneten Künstlers wieder. Gemalt oder als „verzierendes“ Element auf den bildeinfassenden Rahmen. Der Anblick – ein hübsches Mädchen von zahlreichen Fliegen umrahmt – wirkt verstörend und ruft Unverständnis hervor.

Fliegen. Immer wieder Fliegen. Man denkt an Kafkas „Die Verwandlung“, in der sich Gregor Samsa in ein Ungeziefer verwandelt, oder an den Film „Die Fliege“ von Kurt Neumann, der die Geschichte der fehlgeschlagenen Teleportation des Wissenschaftlers André Delambre erzählt. Auch spätere Verfilmungen haben eines gemein: Allesamt rufen einen gewissen Ekel und Horrorvorstellungen hervor.

Was die Skurrilität der Kombination Mädchen und Fliegen nur noch steigert. Und so zieht sich diese Skurrilität durch die weiteren Werke von Nils Franke. Ob nun die malerische Abbildung des Endstadiums einer Mahlzeit („Haufen“), ein menschliches Auge, eingefasst von Fliegen, die ein schimmerndes Schild formen, wie man es von zur Schau gestelltem Jagdwild kennt („Trophäe“) oder die Ansicht eines kleinen, fusseligen Hundes mit einem Eisernen Kreuz um den Hals („Rommelswuff“) – gleichzeitig angewidert und angezogen, oft voller Abscheu und doch mit einer gewissen Neugier werden diese Kombinationen betrachtet. Die emotionale Ambivalenz in seinen Bildern ist ungewöhnlich. Durch Verfremdung, Reduktion oder Ergänzung erschafft Nils Franke Werke, die kontrovers aufgenommen werden und zuweilen auf gänzliche Ablehnung stoßen dürften.

Wie kam es zu den Fliegen? „Vermutlich durch meine Affinität zu Ekel und meine etwas verschrobenen Art, Dinge zu begutachten.“ Das grüne und blaue Funkeln der Fliegen in der Sonne zu beobachten, weckt widerstreitende Gefühle. Werden mit diesen Insekten doch zumeist menschliche wie tierische Hinterlassenschaften assoziiert. Die Ambivalenz zwischen dem herrlichen Glanz und einem stinkenden Haufen Kot irritiert. Zudem die filigranen Muster auf den durchscheinenden Flügeln bestechend schön sind. „Da nun Ekel ein sehr körperliches Gefühl erzeugt und Kunst eine sehr sinnliche Erfahrung produziert, bot es sich eben an, Beides bewusst zu kombinieren.“

Der Betrachter kann sich dem Eindruck kaum entziehen, einer gewissen Provokation ausgesetzt zu sein. Ungläubiges Kopfschütteln gepaart mit der Frage, welche Intentionen sich hinter diesen Werken verbergen mögen, ist sicherlich keine Seltenheit.

Die Wiedergabe von Realität, Alltag und Natürlichkeit ist nicht Nils Frankes Absicht. Vielmehr sieht er Ästhetizismus und Künstlichkeit im Mittelpunkt seines Schaffens. Folgerichtig wird nicht jeder Betrachter Zugang zu seinem Œuvre finden. So gestaltet sich die Freiheit der Kunst. Einhergehend mit der Freiheit, diese Kunst zu mögen. Oder eben nicht.

Text: Edith Oxenbauer und Marcus Rietzsch

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