O der Mond ruft mich
meine Seel‘ sucht sich
befreit vom Trug
im wilden Rabenflug
die Hülle am Boden bleibt
sie auf dem Moose treibt
ich schau‘ zum ersten Mal
das weite nächtlich‘ Tal
Erkenntnis flimmert auf
im wilden Seelenlauf
der Tag trübt falsch den Geist
Nacht mir nun den Weg weist
Mit dem Gedicht bzw. Lied „Seelenflug“ nehmen die beiden Protagnisten der Band „Nebelreich“ – Markus Digwa (Stimme, Gitarre, Texte, Fotografien) und Martin Greier (12-Saiter-Gitarre, Cister, Piano, Harmonium, Flöte, Perkussion) – die Hörerinnen und Hörer ihrer am 9. Februar 2024 erscheinenden EP „Aufbruch“ in Empfang. Anlässlich dieser Veröffentlichung beantwortete Markus Digwa, der auch schon diverse Artikel für das T-Arts-Magazin verfasst hat, bereitwillig einige Fragen:
Wie unterscheidet sich die neue EP „Aufbruch“ von eurem Debüt „Freiwandel“?
Zuallererst unterscheidet sich die EP im Aufnahmeprozess. Für „Freiwandel“ hatten wir für zwei Tage ein Studio in Leipzig gemietet und dort die sieben Stücke eingespielt. Um „Aufbruch“ aufzunehmen, waren wir mehrere Tage bei unserem Freund Michael Tellbach im Studio Absconditus. Dank seiner Großzügigkeit konnten wir so viel Zeit im Studio verbringen, wie wir brauchten. Diesmal keinen Zeitdruck beim Aufnehmen zu haben, hat den Musikstücken gutgetan. Ich mag den Sound von „Freiwandel“ immer noch sehr, da er so ehrlich klingt. Doch mit „Aufbruch“ sind wir unserer Vorstellung von unserer Musik einen großen Schritt nähergekommen. Somit ist die neue EP eine Weiterentwicklung zur ersten.
Was bedeutet Aufbruch für Dich?
An dem Begriff Aufbruch mag ich die Vielschichtigkeit, die er mit sich bringt. Ein Aufbruch kann der Beginn einer kurzen Reise sein. Er kann aber auch ein Weggehen ohne Wiederkehr bedeuten. Aufbruch ist ein Neubeginn. Es hat lange gedauert, bis wir einen Titel für die neue EP gefunden haben. Irgendwann saßen wir jedoch da und sagten: Ja, das passt jetzt! Somit ist Aufbruch ein Weitergehen vom Ursprung – der ersten EP.
Auf dem Cover von „Freiwandel“ ist eine einsame Landschaft zu sehen. Das am Rande eines sich im Nebel auflösenden Waldes liegende Moor strahlt Ruhe, aber auch Melancholie und eine gewisse Mystik aus. Und auch das Cover der aktuellen Veröffentlichung zeigt den Ausschnitt einer nebelverhangenen Waldlandschaft. Spiegeln die von Dir fotografierten Landschaften deine Sehnsucht nach Natur und Abgeschiedenheit wider?
Vom Menschen nahezu unberührte Natur ist schon immer ein Rückzugsort für mich. Wenn ich wandern bin, fühle ich eine Ruhe und Ausgeglichenheit, die mir im Alltag oft fehlt. Beim Wandern liegt mein Fokus auf die Umgebung, mein Inneres und darauf den nächsten Schritt sicher zu setzen. Ich fotografiere Naturszenarien als eine Art Andenken, an dieses Gefühl von Ankommen, Innehalten und Entspannung. Ich versuche meine Sichtweise auf meine Umgebung festzuhalten. Diese ist von den Sagen, Märchen und Geschichten, die ich teilweise bereits seit Kindertagen in mir trage, geprägt. Ich gehe aber auch gerne Bergwandern. Da fotografiere ich kaum, da es mir da eher um das Ausloten meiner Grenzen geht. Ich sehe Natur nicht als verklärten Safespace. Und dennoch habe ich auch eine romantische Sicht auf diese. Ich will diesen Zauber festhalten. Den Geschichten und Gedichten einen bildlichen Ausdruck geben. Für mich und für andere.
Stand es von Beginn an fest, dass Du die Fotos für das Artwork lieferst?
Bei Nebelreich obliegt die visuelle Komponente mir. Ich wähle Bilder aus meinem Fundus an Fotografien aus, erstelle verschiedene Covervarianten, die zur Musik passen und zeige diese dann Martin. Wir tauschen uns darüber aus, er legt sein Veto ein und am Ende finden wir ein Bild, das den inhaltlichen und klanglichen Raum unserer Veröffentlichung widerspiegelt. Natürlich habe ich auch daran gedacht, mal ein Bild, das eine andere Person erschaffen hat, für ein Cover zu nehmen, doch bisher fühlten sich die eigenen Fotos passender an.
Die Lieder von Nebelreich sind Vertonungen Deiner Gedichte, die Du zur musikalischen Untermalung rezitierst. Welchen zusätzlichen Aspekt liefert die Musik?
Oftmals lerne ich durch die Vertonung neue Seiten an meinen Texten kennen. Durch die intensivere Beschäftigung mit den Worten und deren Klang bekommen Metaphern und Bilder neue Tiefe. Und die Musik hilft das Gefühl des Textes zu transportieren. Alleine bei den ersten Takten des Liedes spüren die Zuhörer:innen bereits, in welche Richtung der Text geht. Durch die Musik fühlen sich die Texte erst richtig vollkommen an, auch wenn ich diese nie bewusst als Liedtexte geschrieben habe. Sie können für sich alleine stehen, erfahren aber durch Martins wunderschöne Melodien und mein rhythmisches Spiel eine neue Tiefe. Die musikalische Umsetzung ist somit eine Ergänzung zu den gedruckten Texten.
Eure Musik bezeichnet ihr als Natur-Folk. Die Natur spielt in Deinen Texten auch eine Hauptrolle. Im vergangenen Jahr bist Du von einer Stadt (Leipzig) in eine andere Stadt (Dresden) gezogen. Warum hast Du Dich für ein Leben in der Stadt und gegen ein Leben auf dem Land, wo Du der Natur näher wärst, entschieden?
Die Frage habe ich mir auch schon oft gestellt (lacht). Hauptsächlich der Arbeit wegen muss ich gestehen. In Leipzig habe ich studiert und später gearbeitet. Dort habe ich Freunde, die mir viel bedeuten. Zwei Gründe, warum ich mich dort niedergelassen habe. Dennoch waren von dort aus, dank der A38, der Wald und die Natur nie weit entfernt. Nach Dresden bin ich ebenfalls der Arbeit wegen gezogen. Hier habe ich eine Stelle in einer Bibliothek gefunden, die genau meine Fähigkeiten und meine Interessen abdeckt. Dresden hat ebenfalls den Vorteil, dass Leipzig und damit Martin und meine anderen Freunde nicht weit entfernt sind und dass ich von hier aus sehr schnell in der Sächsischen Schweiz oder im Erzgebirge bin. Mit dem Umzug ging auch eine ruhigere Wohnlage einher. Meine Partnerin und ich wohnen in einem recht kleinen und ruhigen Stadtteil im Süden, wo wir vom Trubel der Landeshauptstadt nicht ganz so viel mitbekommen.
Wie bzw. wo würdest Du gerne leben, wenn Du komplett frei entscheiden könntest und Faktoren wie Arbeitsplatz und Finanzen keine Rolle spielen würden?
Ich würde eine kleine Wohnung in der Nähe meiner Freunde mein Eigen nennen und zusätzlich mit meiner Partnerin in einer Hütte etwas abgelegen im Wald an einem See wohnen. Das stelle ich mir schön vor.
Welche Jahreszeit magst du am liebsten und warum?
Haha, eine gute Frage. Ich mag den Jahreslauf, wie er ist. Ich liebe den Herbst mit dem bunten Laub und dem mystischen Nebel. Ich liebe den Winter mit Schnee, Kälte und der damit einhergehenden Entschleunigung. Ich liebe den Frühling mit der wiederkehrenden Wärme, den Wildblumen und dem satten Grün. Und ich liebe den Sommer mit seinen lauen Abenden und den Open-Air-Konzerten. Wobei ich aber eingestehen muss, dass ich mich bei kälteren Temperaturen wohler fühle, als bei Hitze.
Habt ihr euch bewusst für eine Eigenveröffentlichung ohne Label entschieden?
Da schwingen Erfahrungen mit, die ich bei meinen Buchveröffentlichungen gemacht habe. Ich mag es, die Kontrolle über Dinge zu behalten. Wer vertreibt unsere Veröffentlichungen? Wer verdient dabei mit? Was vertreibt diese Seite noch? Daher lag es nahe, die CDs und unser Merchandise im Eigenvertrieb zu veröffentlichen. Es ist viel Arbeit, die solche Eigenveröffentlichungen mit sich tragen. Es bedeutet aber auch vollkommene Freiheit im Handeln. Niemand redet bei Design, Klang, Erscheinungsweise etc. mit. Wir arbeiten aber trotzdem daran, unsere Veröffentlichungen teils auch über andere Seiten mit zu vertreiben. Das muss dann aber auf absoluter Vertrauensbasis fußen. So sehr ich Künstler bin, so sehr bin ich Sicherheitsmensch.
Wie würdest du eure Kunst beschreiben?
Es ist das Vermitteln von Naturerfahrungen in Wort, Ton und Bild. Wobei ich die Natur nie losgelöst von mir sehe. Ich bin ein Teil von ihr. Daher ist es auch verständlich, dass sie so einen großen Platz in meinem Schaffen einnimmt. Doch uns nur auf die Natur zu beschränken ist falsch. Martin und ich haben so viele und vielfältige Einflüsse, Vorlieben und Prägungen. Diese fließen teils ins Nebelreich mit ein – teilweise finden sie ihren Ausdruck auf anderem Wege. Was unsere Kunst auch ausmacht, ist unser Interesse an Geschichten. Dabei denke ich vor allem an Sagen, Märchen und Mythen unterschiedlicher Herkunft. Wobei auch in diesen die Natur ein wichtiger Bestandteil ist.
Gibt es einen besonderen Ort, an dem Du gerne einmal auftreten würdest?
Ein Traum wäre das UT Connewitz*, da ich das Ambiente dieses Gebäudes sehr spannend finde. Auch die Veranstaltungshöhle in Balve, wo das Prophecy Fest jährlich stattfindet, würde mich reizen. Ansonsten bin ich sehr offen für die Orte, an denen wir noch spielen werden. Mir ist nur wichtig, dass dort eine angenehme Atmosphäre herrscht und sich unsere Lieder dort gut entfalten können.
(* Das älteste noch erhaltene Lichtspieltheater Leipzigs, in dem seit 2001 auch Konzerte veranstaltet werden.)
Auf euren Veröffentlichungen ist folgende Stellungnahme zu lesen: „Das Nebelreich ist kein Ort für Faschismus, Nationalismus, Sexismus und Gewalt.“ Ist dies (auch) eine Reaktion auf die vielfach geäußerte Einschätzung, dass Neo-Folk politisch weit rechts außen verortet ist? Wie begegnet ihr diesen (Vor)urteilen? Und wie beurteilst Du die Entwicklung zu immer mehr Nationalismus in Europa und der Welt?
Wir sind keine bewusste Neofolk-Band. Wir fingen 2019 damit an, Musik zu spielen, die zu den Texten passt und die uns gefällt. Ein sehr interessanter Aspekt ist, dass wir anfangs kaum einschlägige Bands des Neofolk-Genres kannten. Ich war mit den Werken Empyriums, Dornenreichs und mit Tenhi vertraut. Jännerwein war mir noch ein Begriff und Laibach. Aber sonst kannte ich gar keine Musik, die zu diesem Genre mit zählt und Martin ging es ähnlich. Unsere Auftritte führten uns zu Neofolk-Veranstaltungen und im Zuge dessen setzten wir uns mit der Szene auseinander. Und da wurde uns die politische Einordnung sehr bewusst. Wir achteten und achten sehr darauf, welche Bands bei den Veranstaltungen, zu denen wir eingeladen werden, mitwirken. Wir beobachten sehr skeptisch die politischen Entwicklungen in der Szene und der Welt. Martin und ich sind eher links geprägt und humanistisch. Ehe wir von bestimmten Kreisen vereinnahmt werden, grenzen wir uns von diesen ab. Leider tun das – egal in welchem Musikgenre – zu wenige Künstler:innen aus meiner Sicht. Oftmals werden Tendenzen stumm toleriert, die nicht toleriert werden dürften. Ich bin sehr für die Freiheit des Denkens und Handelns, solange diese Toleranz und eine menschenfreundliche Moral in sich trägt. Gerade auch wegen der Abgrenzung nennen wir unsere Musik Natur-Folk. Wir sind zwar in der Neofolk-Szene mit unterwegs und haben dort ein aufgeschlossenes Publikum gefunden, doch wir beschränken uns nicht darauf.
Abgesehen davon beobachte ich die aktuellen Entwicklungen in der Welt sehr kritisch. Ich bin zu sehr mit der Geschichte vertraut, als dass mich die nationalistischen Tendenzen erschrecken würden. Dennoch bedrückt es mich. Generell sehe ich einen Verfall von bestimmten Grundwerten in der europäischen Bevölkerung. Daher haben radikale Strömungen einen fruchtbringenden Nährboden. Nationalismus und Ausgrenzung sind in den letzten Jahren wieder salonfähig geworden. Selbst große Kriege werden wieder geführt. Oftmals denke ich, dass die Menschheit nicht aus ihrer eigenen Geschichte lernt. Fehler werden immer wieder begangen. Sei es im Miteinander oder im Umgang mit der Natur. Was mir dann Hoffnung gibt, sind die vielen Menschen, die für Demokratie auf die Straße gehen, die weiterhin Lieder gegen Krieg singen, die bei Konzerten und im täglichen Miteinander Toleranz und Mitgefühl leben, die umweltbewusstes Handeln in ihrem Alltag integriert haben.
Welches Thema umtreibt Dich aktuell?
Ich denke schon längere Zeit darüber nach, den lyrischen Kosmos des Nebelreichs zu erweitern. Mir ist es wichtig aktuelle Entwicklungen und Zeitkritik in die Texte einzubinden. Die Gedichte aus meinem Buch „Nebelreich: Naturlyrik in IIII Kapiteln“ reichen von Selbstbetrachtungen des lyrischen Ich bis hin zu Betrachtungen anderer Wesenheiten. Das möchte ich gerne erweitern. Hin zu dem Blick in die Städte und in die Welt hinaus. Nicht jedoch, ohne den Bezug zur Natur zu verlieren. Musikalisch wollen wir uns weiterentwickeln. Irgendwann wollen wir auch mal ein Album aufnehmen. Aber zu aller erst freuen wir uns darauf, unsere CD zu veröffentlichen und zu schauen, wie „Aufbruch“ bei den Leuten ankommt. Wir sind sehr zufrieden damit und können es kaum erwarten, endlich das Ergebnis unserer dreimonatigen Arbeit unserem Publikum präsentieren zu können.
Sind Konzerttermine geplant, bei denen ihr die EP live vorstellen werdet?
Wir spielen am 03.02. zusammen mit unseren Freund:innen von ART ABSCONs und KAELTE im Soltmann in Leipzig. Da ist die Setlist sehr von den Songs der EP geprägt. Dann steht noch ein Konzert im Sommer in Rostock bei einem Privatevent an. Im Oktober spielen wir dann beim Schwarzen Herbst in der Johanneskirche in Löbau. Dieses Konzert wird alleine wegen der besonderen Location und der Größe des Publikums ein wahres Highlight. Da werden wir die Lieder der EP in einem besonderen auf die Kirche angepassten Gewand präsentieren. Soweit erstmal die Pläne. Mal sehen, was noch alles folgen wird. Wir sind gespannt!
Die EP „Aufbruch“ ist ab dem 09.02.2024 via nebelreich.bandcamp.com erhältlich und bei allen bekannten Streamingdiensten zu finden.
» Nebelreich-Dokumentation (2022) @ Youtube
» Webseite von Markus Digwa
