Siamese: Im Gespräch mit Rudy Ratzinger (:Wumpscut:)

Mein Lieblings-Patient – Herr Rudy Ratzinger – hat wieder einmal sein alljährliches Musik-Werk der geneigten Öffentlichkeit vorgestellt. Dies stellt doch einen perfekten Anlass dar, um dem kreativen Kopf hinter dem Musik-Projekt „:Wumpscut:“ einige Fragen zu stellen. Ja klar, das wird schwierig. Und obwohl Rudy anfänglich in einem kommunikativen Bermuda-Dreieck verschwand, erreichten mich verspätet doch seine Antworten, welche ich den geneigten Lesern ungekürzt aber nicht ganz zeitnah zur Veröffentlichung des Albums nicht vorenthalten möchte.

„Siamese“ heißt das neue Album. Das Artwork und das Booklet sind wie immer auffällig. Diesmal auch sehr bizarr: stilisierte Skelette von siamesischen Zwillingen. Auch die Titel dokumentieren, dass es sich hier nicht um ein Kinderhörspiel handelt. Ein Titel lautet beispielsweise „Auf Wiedersehen im Massengrab“. Ein anderer „Teufelszeug“. Deutlich zu erkennen: es dreht sich um unser tägliches Leben. Willkommen in der Wirklichkeit! Rudy Ratzinger macht sich Gedanken und verpackt diese in böse und melodiöse Tonfolgen.

Um diesen Gedanken ein wenig näher zu kommen, lauschen wir mal diesem alltagstauglichen Gespräch:

In dem einen oder anderen Interview spürt man, dass Du ein gesundes Maß an Selbstvertrauen hast.

Denkst du? Boah.

Beziehst Du die Bestätigung hierfür vorrangig aus der Zustimmung Deiner Fan-Gemeinde oder spielt dies keine Rolle für Deine persönliche Beurteilung Deines Schaffens?

Ha, nein: das wär dann wohl zu spät und zu wenig. Du sprichst von Charakterbildung, das liegt schon lange zurück.

Der Titel des aktuelle Albums „Siamese“ weckt Assoziationen. Sicher sind hier die Empfindungen individuell. Ich unterstelle Dir, dass Du bei Deiner eigenen Musik auch etwas empfindest.

Natürlich, ja – würd ich sonst nicht machen. Musik hat ja immer was mit Emotion zu tun – wenn denn dann der Funke überspringt.

Du hast an der CD lange gearbeitet. Hörst Du sie Dir eigentlich nach der Veröffentlichung selbst noch an? Oder ist das Kapitel für Dich abgeschlossen?

Wenn alles im Kasten ist zur eigenen Zufriedenheit (das kann dauern), geht es sowieso schon los mit Marketing etc. – zu dem Zeitpunkt hör ich das Album dann nicht mehr, erst nach einer längeren Pause. Bin dann aber oft baff.

Ohne jedes Sendungsbewusstsein abzufordern: was entnimmst Du dem Album für Dich persönlich?

Immer das Beste, was ich höre auf dem Szenesektor. Wenn das mal anders werden sollte, stirbt :W:.

Das Booklet ist wieder sehr aufwändig gestaltet. Bizarre Skelette in unterschiedlichster Haltung. Ist ein solch auffallendes, ausgefallenes Booklet der „Verkaufsförderung“ geschuldet? Oder tust Du Dir damit auch selbst einen Gefallen; manifestieren sich in der Gestaltung des Booklets bizarre Gedanken?

Ich denk da oft an meine Teenagertage, zu der Zeit hab ich oft nach Cover gekauft/gesucht – und auch oft Interessantes gefunden. Muss stimmen, alles andere ist nur bemüht.

Hast Du konkrete, visuelle Ideen für das Artwork oder bekommt der Designer von Dir freie Hand?

Ich geb das Konzept schon weitgehend vor, im Fall von Siamese sind/waren natürlich auch die 3D-Künstler gefragt.

Auch wenn Deine Texte hin und wieder für einen gewissen Wirbel gesorgt haben, gab es – soweit mir bekannt ist – bisher keine „Verbote“. Sicherlich wäre dies auch unbegründet.

Ha, ja: das kannst du wohl so sagen (wenn du mich selbst fragst) – zum Satansmord gab es mal die Idee, Bunkertor 7 zu indizieren, hat sich dann aber wohl aufgrund von fehlender Handhabe verloren.

Was würdest Du unternehmen, wenn „weltfremde Sittenwächter“ Veröffentlichungen von Dir auf den Index setzen würden?

Das nehm ich dann (ähnlich wie Rammstein) hin und schüttel darüber den Kopf.

:Wumpscut: ist volljährig und 19 Jahre erwachsener als anfangs. Bei uns allen haben sich Einstellungen, Ansichten geändert, Erfahrungen haben uns geprägt. Niemand bleibt ewig auf einem Fleck stehen.

Gott sei Dank.

Wo sieht Du bei Dir, Deiner Musik, Deinem Lebensansichten Unterschiede, Entwicklungen, Veränderungen so zwischen „Null“ und „Neunzehn“?

Darüber denk ich nicht nach – dies betriff auch mein eigenes/privates Leben. Ich existiere aus dem Unterbewussten heraus, alles andere halt ich für zu intellektuellen Überbau.

Du veröffentlichst Alben in präziser Regelmäßigkeit. Spürst Du noch die Leidenschaft der Anfangszeit oder entwickelt sich eine gewisse Geschäftsmäßigkeit bei der Umsetzung neuer Songideen? Schleicht sich evtl. Routine ein?

Routine ist nicht der richtige Begriff, Handwerk trifft das schon eher. Ist wie mit einem Tischler, der Kommoden macht. Frag mal bei ihm nach, der erzählt dir dasselbe. Leidenschaft muss immer mit dabei sein, sonst macht das alles keinen Spaß – wenn man’s auch sicherlich nicht hören würde. Dazu ist der Prozess zu mittelbar.

Der eine oder andere Fan fragt sich dabei sicherlich auch, was Dir hilft, solch unterschiedliche Songs zu schreiben. Meeresrauschen, Fahrradfahren, Rotwein? Jedes Stück ist eine Überraschung.

Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht – versuch’s doch mal. Wenn’s von selbst kommt, ist alles im Grünen Bereich. Wenn es mühsam und zu großhirnlastig wird, lass es lieber.

Das nun folgerichtig eintretende 20jährige Jubiläum von :W: im nächsten Jahr: haben wir da etwas ganz Besonderes von Dir zu erwarten? Kannst Du uns von Plänen berichten?

Noch unsicher alles – noch.

Herr Ratzinger, Interviews mit Dir finden in der Regel oder ausschließlich per Mail statt. Sind es nur praktische Gründe, weshalb Du diese Art der Kommunikation bevorzugst oder gibt es hierfür andere entscheidende Faktoren?

Ich hab’s gern genau so, wie ich’s niedergeschrieben hab – und das krieg ich nicht am Telefon oder live.

Liveauftritte als :Wumpscut“ gibt es nicht. Besuchst Du „privat“ Konzerte, Festivals oder auch das Wave Gotik Treffen?

Nein, nein. Mir alles viel zu tingeltangelartig.

Gibt es in diesem Bereich etwas, dass Dich besonders beeindruckt hat?

Death In June’s Oh How We Laughed (28. Mai 1982) – lange her, ha?

Wie beurteilst Du die Entwicklung im Genre „Electro“ – musikalisch wie optisch?

Weg vom Vanguard, dann wird alles besser.

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