Sepulkralkultur? Auch uns war dieser Begriff bis zur Planung eines Ausflugs in das Museum nach Kassel unbekannt. Doch das Universallexikon gab Aufschluss:
se|pul|kral [lat. sepulcralis = zum Grabe gehörig] (veraltet): das Grab[mal] od. Begräbnis betreffend.
Die Internetseite des Museums liefert weiteres Wissen:
Dauerausstellung
KASSEL, MUSEUM FÜR SEPULKRALKULTUR„Der Begriff Sepulkralkultur (…) bedeutet Grab, Grabstätte und umfasst alle kulturellen Erscheinungen im Zusammenhang mit Sterben, Tod, Bestatten, Trauern und Erinnern: Gräber, Särge und Bestattungsriten und -bräuche, auch Werke zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler und kann so im weitesten Sinne auch als Trauer- und Begräbniskultur verstanden werden.
In der Sepulkralkultur spiegeln sich der kulturelle Stand, die religiöse Einstellung, das Verhältnis zu Geschichte und Natur, die soziale Haltung sowie künstlerisches und kunsthandwerkliches Niveau einer Epoche. Kein anderes Wort umfasst dieses Gebiet so vollständig wie der Begriff Sepulkralkultur, für die Initiatoren ein wichtiger Grund, Institut und Museum so zu benennen.“
Das Sterben und der Tod, Begräbnisriten früher und heute ruft nicht jedermanns freudiges Interesse hervor. Gedanken, die meistens verdrängt werden. Einen geliebten Menschen zu verlieren, ist grausam – jedoch unausweichlich. Und so widmet sich das Museum für Sepulkralkultur dem Unabwendbaren. Dem unterschiedlichen Umgang mit der Trauer und dem Schmerz. Und der verschiedensten Art und Weise, wie der Toten gedacht und die Erinnerungen bewahrt werden.
Das Museum in Kassel besteht bereits seit zwei Jahrzehnten und ist in Deutschland einmalig. Ebenso wie das Leben. Eine Gabe, die oft genug leichtfertig verspielt wird. Oder deren knappe Zeit nicht genutzt wird. Oft scheint es, dass das Leben erst richtig geschätzt wird, wenn sich der Weg seinem Ende nähert. Man sollte sich seine eigene Vergänglichkeit ins Bewusstsein rufen und die Zeit nutzen.
In der Dauerausstellung werden zahlreiche historische Exponate gezeigt. Informative Texte begleiten das visuelle „Erleben“. Bekanntes neben Seltsamen. Eine schwarze Kutsche für den Transport des Sargs ist durchaus ansehnlich.
Der Tod hat Künstler zu allen Zeiten besonders inspiriert. Man denke nur an die eindrucksvollen Skulpturen, die auf so vielen alten Friedhöfen zu finden sind. In einer so hohen Anzahl findet man diese anmutigen Wesen – teils voller Erotik – wohl an keinem anderen Ort versammelt. Was heute der aus diversen Fersehkrimis bekannte Metallsarg ist, um einen Verblichenen zu transportieren, war in Vorzeiten ein Karren mit einem langen Brett. Beispiele für Grabsteine, Skulpturen, Grabplatten sind zu finden. Natürlich inklusive ausführlicher Beschreibungen, was zur jeweiligen Zeit von Bedeutung für eine Beerdigung war. Auf den einen oder anderen Besucher dürften die beiden in einer Vitrine ausgestellten Schädel etwas skurril wirken – sind diese doch mit den ausführlichen Daten ihrer „früheren Besitzer“ verziert. In einer sehr hübschen Schrift übrigens. Ein faszinierendes Beispiel für die in Europa vorhandenen Beinhäuser, die voll sind mit Schädeln und Knochen.
Wild übereinander gestapelt bemalte Holzsärge – „Umverpackungen“ für den eigentlichen Sarg – ziehen den Blick an. Zwischen den großen Kisten sind hinter Glas auch ganz kleine zu bewundern. Seltsam die Vorliebe für Zierrat, beispielsweise Schreibzeug, mit Begräbnis- und Todes-Symbolen: Skelette und Särge auf dem Schreibtisch. Eine Mahnung? Lebe jetzt. Später ist keine Zeit mehr dazu. Für die nicht ganz so reiche Bevölkerung gab es sogar Vereine, in denen alles für die Beerdigung „angespart“ werden konnte. Heute gibt es dafür Sterbegeldversicherungen. Sehr moderne letzte Behausungen wirken befremdlich. Ein knallbunter Riesengockel aus Ghana – zu schade, um ihn zu begraben? Ein weiterer Blick ins Ausland führt nach Mexiko: Einmal im Jahr wird dort ein Fest zu Ehren der Toten gefeiert. Musik und Tanz an und auf den Gräbern. Ein Altar mit Blumen, Geschenken, Esswaren, Spielzeug. Eine offensichtlich recht entspannte Beziehung zu den Toten. Beispiele erläutern detailliert den Umgang mit Toten in jüdischen, muslimischen oder buddhistischen Kulturkreisen. Ein größeres Sortiment an Polster, Schminke, künstlichen Augäpfelabdeckungen, Frisierwerkzeug eines Bestatters zeigt auf, warum in offenen Särgen meistens sehr lebendig aussehende Leichen liegen.
(Für Interessierte: Der Dokumentarfilm „Rest in Peace“ bringt dazu bizarr wirkende Einblicke.)
In geöffneten Särgen wurden wiederholt über die Toten kreuz und quer gespannte Bänder und Seile entdeckt. Wie Fesseln. Sollten die Bestatteten nicht als Un-Tote herumgeistern können? Ein breiter Raum ist moderneren Bestattungsriten gewidmet. Wald- oder Seebestattung beispielsweise. Etwas merkwürdig mutet es an, aus der Asche des Verstorbenen einen Diamanten machen zu lassen. Ebenso wie die Schmuckkreationen aus den Haaren Verblichener. An die Kindheit erinnert der Bausatz eines Friedhofs für die Modelleisenbahn. Eine große Vitrine beherbergt unzählige kleine bunt bemalte Figuren. „Totentanz“. Den jeweiligen künftigen Toten nähert sich Gevatter Tod angemessen. Mit dem Händler handelt er. Der Blumenfrau bringt er Blumen. Und so zeigt sich hier anschaulich, dass jeden – ob nun König oder Handwerker, ob nun Papst oder Maler – der Tod ereilt.
Jubiläumsausstellung „Schwarz…“
1. September 2012 - 27. Januar 2013
KASSEL, MUSEUM FÜR SEPULKRALKULTURDie Farbe Schwarz wird oft mit Gefahr, Angst, Bedrohung gleichgesetzt. Mit dem „schwarzen Mann“ wurden vielen Generationen von Kindern Angst gemacht. Dunkelheit war eine Bedrohung. Die schwarzen Roben von Richtern verkörperten für die meisten Menschen Gewalt. Anatomieprofessoren trugen im „anatomischen Theater“ einen schwarzen Mantel, damit die Verschmutzungen durch das Sezieren der Leiche nicht so deutlich sichtbar wurden. Der seltene schwarze Schwan steht für Unheil. Schwarz grenzt ab. Schwarz ist mystisch. Schwarz ist das Gewand des Todes.
So widmet sich die Sonderausstellung mit dem schlichten Titel „Schwarz…“ aus unterschiedlicher Sichtweise dieser „Unfarbe“ und deren Wirkung. Psychologisch, künstlerisch und kulturell.
Schwarz, so heißt es, ist keine Farbe, sondern eine Farbempfindung. Bereits Aristoteles stellte Theorien über Farben auf. Er benannte „einfache Farben, welche die Elemente begleiten, das Feuer, die Luft, das Wasser und die Erde“. Auch Goethe beschäftigte sich mit Farbphänomenen – ebenso wie Isaac Newton. Goethe kam allerdings zu anderen Schlüssen (was physikalisch gesehen ein Irrtum war).
Dass Schwarz etymologisch vor allem negativ besetzt ist, verdeutlichen bestimmte Redewendungen. So werden etwa schlimme Ereignisse mit dem „Dunkel“ assoziiert und als „schwarze Tage“ bezeichnet. Dazu zählt der 24.10.1929. An jenem Tag erlebte die New Yorker Wall Street einen Börsencrash, der als „schwarzer Donnerstag“ und in Europa als „schwarzer Freitag“ in die Geschichte einging.
Um Mitternacht
von Eduard Friedrich Mörike
Gelassen stieg die Nacht ans Land,
Lehnt träumend an der Berge Wand
Ihr Auge sieht die goldne Waage nun
Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn
Und lecker rauschen die Quellen hervor
Sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage.
Das uralt alte Schlummerlied,
Sie achtet`s nicht, sie ist es müd`;
Ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch,
Der flücht`gen Stunden gleichgeschwungnes Joch.
Doch immer behalten die Quellen das Wort,
Es singen die Wasser im Schlafe noch fort
Vom Tage
Vom heute gewesenen Tage.
Ein Gemälde von Böcklin dient als Hintergrund für das Thema Pest – auch „der schwarze Tod“ genannt. Anschaulich der Leichenkarren und die Ratten vor dem beeindruckend großen Bild. Zwischen den Jahren 1346 und 1351 stand man der Pest, die sich in ganz Europa unaufhaltsam ausbreitete, machtlos gegenüber. Etwa 25 Millionen Menschen – was einem Drittel der europäischen Bevölkerung entspracht – kostete diese Pandemie das Leben.
Es ist ein Flüstern
von Theodor Storm
Es ist ein Flüstern in der Nacht
Es hat mich ganz um den Schlaf gebracht;
Ich fühl’s, es will sich was verkünden
Und kann den Weg nicht zu mir finden.
Sind’s Liebesworte, vertrauet dem Wind,
Die unterwegs verwehet sind?
Oder ist’s Unheil aus künftigen Tagen,
Das emsig drängt sich anzusagen?
Schwarz kann Ausdruck von Provokation, Leere, Distanz, Sachlichkeit, Schwere, Radikalität, Absolutheit, Exklusivität u.v.m. sein. Wohl deshalb ist Schwarz längst auch zur Kleiderordnung der kreativen Szene und mancher Subgruppen geworden.
Der so genannte „Schwarze Humor“ lässt einen zuerst an den britischen Humor denken. Dort wurden zumindest die oftmals überzeichneten Cartoons erfunden. Erst später etablierte sich diese Art Humor auch in Deutschland. Heute kann man eine Fortführung des „Schwarzen Humors“ in der Zeitschrift „Titanic“ be-grinsen. In der Ausstellung befindet sich ein kleines Friedhofsmodell. Dieses Modell mit Grabsteinen für bestimmte Gruppen verdeutlicht neben einigen Zeichnungen den humorvollen Umgang mit dem Thema Sterben und Tod: Für den Atheisten wurde die Grabsteinaufschrift „Gott ist tot – ich auch“ gewählt. Der Buddhist wird mit den Worten „Bin mal kurz weg“ verabschiedet. Pietätlos? Sollte man aber nicht auch über den Tod, der unabwendbar ist, in gewisser Weise amüsieren können? Ein Lachen kann die Angst nehmen.
Cartoon-Modell von Oliver Ottitsch
Kaiser Karl der Große erließ im Jahr 808 für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation eine Kleiderordnung, wonach die Trauerkleidung der Reichen dunkelfarbig zu sein habe. Doch wie die Ausstellung abschließend zeigt, ist Trauer und Tod nicht mehr nur „schwarz“. Bunte Urnen, bemalte Särge, Rockmusik zur Besetzung zeugen von einem Wandel der Trauer- und Bestattungstraditionen. Ob Schwarz als Trauerfarbe von einer Buntheit abgelöst wird, muss die Zukunft zeigen. Letztendlich sind es die Menschen, die einer Farbe eine Bedeutung geben.
Text: Edith Oxenbauer & Marcus Rietzsch
Fotos: Marcus Rietzsch
Und da die hundertprozentige Wahrscheinlichkeit des Endes so manche trübe Gedanken aufkommen lassen könnte, zum Abschluss noch ein passendes Couplet zum Aufheitern:
In fünfzig Jahren ist alles vorbei
von Otto Reutter
Denk’ stets, wenn etwas dir nicht gefällt:
„Es währt nichts ewig auf dieser Welt.“
Der kleinste Ärger, die größte Qual
Sind nicht von Dauer, sie enden mal.
Drum sei dein Trost, was immer es sei:
„In fünfzig Jahren ist alles vorbei.“
Und ist alles teuer, dann murre nicht,
Und holt man die Steuer, dann knurre nicht.
Und nimmt man dir alles, dann klage nicht,
Und kriegst du den Dalles*, verzage nicht –
Nur der, der nichts hat, ist glücklich und frei,
Und in fünfzig Jahren ist alles vorbei.
Und ist auch ein andrer klüger als du,
Dann sei nicht dämlich – und lach’ dazu.
Was nützt sein Wissen – stirbt der vorher,
Bist du am nächsten Tag klüger als der.
Wer da weiß, dass er nichts weiß, weiß vielerlei –
Und in fünfzig Jahren ist alles vorbei.
Und geht zu ’nem andern dein Mägdelein,
Dann schick’ ihr noch ’s Reisegeld hinterdrein.
Und bist du traurig, denk’ in der Pein:
„Wie traurig wird bald der andere sein.“
Dem macht sie’s wie dir — die bleibt nicht treu
Und in fünfzig Jahren ist alles vorbei.
Und siehst du ’ne Zeitung, dann schau nicht hin,
Es steht ja doch bloß was Schlechtes drin.
Und schafft dir die Politik Verdruss:
Es kommt ja doch alles, wie’s kommen muss.
Heut’ haben wir die, morgen jene Partei
Und in fünfzig Jahren ist alles vorbei.
Und stehst du nervös am Telefon
Und du stehst und verstehst da nicht einen Ton,
Oder bist beim Zahnarzt – wenn er dich greift
Und dich mit dem Zahn durch die Zimmer schleift,
Und er zieht und er zieht und bricht alles entzwei –
In fünfzig Jahren ist alles vorbei.
Und platzt dir ein Knopf – am Hemd zumeist –
Und hast du ein Schuhband, das stets zerreißt –
Und hast ’ne Zigarre du, die nicht zieht,
Und hast du ein Streichholz, das gar nicht glüht:
Nimm’ noch ’ne Schachtel, nimm’ zwei oder drei,
In fünfzig Jahren ist alles vorbei.
Und fälscht man dir Schokolade und Tee,
Und verspricht man dir echten Bohnen-Kaffee,
Und du merkst, dass der Kaffee – wie schauderbar! –
Eine bohnenlose Gemeinheit war,
Dann schließ’ die Augen und sauf’ den Brei –
In fünfzig Jahren ist alles vorbei.
Und sitzt in der Bahn du ganz eingezwängt,
Und dir wird noch ’ne Frau auf den Schoß gedrängt,
Und die hat noch ’ne Schachtel auf ihrem Schoß,
Und du wirst die beiden Schachteln nicht los,
Und die Füße werden dir schwer wie Blei:
In fünfzig Jahren ist alles vorbei.
Und führst ’nen Prozess du – ertrag’ die Qual.
Und hörst du ’ne Oper – sie endet mal.
Und hast du Magenweh und musst ’raus
Und da ist schon jemand, dann harre aus.
Wie lang es auch dauert, der Platz wird frei –
In fünfzig Jahren ist alles vorbei.
Und bist du ein Eh’mann und kommst nach Haus,
Halb drei in der Nacht – und sie schimpft dich aus,
Dann schmeiß dich ins Bette und sag’: „Verzeih’,
Wär’ ich zu Hause geblieben, wär’s auch halb drei.“
Und kehr’ ihr den Rücken und denk’: „Nu schrei!
In fünfzig Jahren ist alles vorbei.“
Und stehst du hier oben als Humorist,
Obwohl du bei den Zeiten traurig bist,
Und du merkst, dein Vortrag gefällt nicht recht,
Und du selber findest die Verse schlecht,
Sing’ immer weiter die Litanei:
In fünfzig Jahren ist alles vorbei.
Und fürchte dich nie, ist der Tod auch nah,
Je mehr du ihn fürcht’st, um so eh’r ist er da.
Vorm Tode sich fürchten, hat keinen Zweck,
Man erlebt ihn ja nicht, wenn er kommt, ist man weg.
Und schließlich kommen wir all an die Reih’ –
Und in fünfzig Jahren ist alles vorbei
Drum: Hast du noch Wein, dann trink’ ihn aus,
Und hast du ein Mädel, dann bring’s nach Haus
Und freu’ dich hier unten beim Erdenlicht.
Wie’s unten ist, weißt du – wie oben nicht.
Nur einmal blüht im Jahre der Mai
Und in fünfzig Jahren ist alles vorbei –
Du Rindvieh, dann ist es vorbei!