Thomas Manegold – Gespräche mit Goth

Ein Episodenroman. Episoden? Ja doch, hier werden Episoden beschrieben. Aber Roman? Vielmehr ist es eine Zwischenbilanz, Resümee, Abrechnung. Was war und was ist. In Relation zu Träumen, Wünschen, Zielen. Verschiedene Figuren treffen wiederholt aufeinander. Fiktive Figuren. Denen jedoch reale Personen einen großen Teil ihres Ichs liehen. Dafür schaue man sich die Danksagung an, mit denen sich der Autor beispielsweise an Remo Sorge, Kreuzmühle, Lisa, Periplaneta wendet.

Doch zunächst ein Auszug aus der Pressemitteilung:

„Ein Schläfer in der Großstadt erwacht im Herzen des Waldes. Nach einer Auseinandersetzung mit seiner Psychologin begibt sich ein ehemaliger DJ und Musikjournalist auf einen Trip durch eine Gesellschaft, die er ablehnt und die ihm extrem fremd ist. Wut und Zynismus sind seine Begleiter. Er begegnet aber auch Menschen, die ihn aus dem Großstadt-Wahnsinn hinaus zu einem Ort führen, an dem er sich seiner Vergangenheit nicht mehr verschließen kann. Da ist Klaus, dessen Karriere vorbei zu sein scheint, da ist Natalie, die sich als DJane etablieren will und mit ihrem Studium hadert, Horst, der sich unsterblich verliebt, Sandra, die alle lieben und Timo, der alles auf eine Karte setzt. Menschen auf der Suche nach Ausdruck, Identität und Liebe, zwischen Erinnerung und Hoffnung, zwischen Resignation und Aufbruch. Beobachtet werden sie von einem namenlosen Zyniker, der auf der Suche nach dem Grund für seine Traurigkeit ist… der weiß, dass nicht nur seine besten Tage, sondern auch die der sogenannten Subkultur längst vorbei sind.“

Dem Roman vorangestellt ist eine Art Widmung oder auch Ansprache:

„Gegen die Quäker und Demonstranten,
Flaggenträger und Spekulanten,
Liebesdienstleister und Liebesdienstnehmer,
Knechte und Meister, Bequemte, Bequemer.

Gegen Diebe und Diener, Belehrte, Belehrer,
Lyoner und Wiener, Verehrte, Bekehrer,
Vandalen, Vampire, Paraphrasiten,
Papierkrieger, Tierquäler, Jackpots und Nieten,
Gläubiger, Glaubende, Täter und Opfer,
Verfaulte, Verstaubte, Verräter, Verstopfer,
Feeder und Fresser, Verformte, Proleten,
Sieger, Vermesser, Genormte, Asketen“

Das sind weite Teile der Bevölkerung. Der Leser gehört – selbstverständlich – nicht dazu.

Die Episoden sind zusammengefasst unter „1 – Sleeper in Metropolis“ und „2 – In the Heart of the Woods“.

Auftakt bildet die „Vita“ einer Bewerbung. Unter den Kurzüberschriften „Mein Sein ist eine Wunde“, „Mein Sein ist ein Kampf“, „Mein Schwert ist das Wort“ und „Mein Leben ist Rebellion“ wird eine Selbstdarstellung förmlich herausgeschrien. Wut, Verachtung, Zweifel und Selbstzweifel. Der „Bewerber“ entblößt sein Innerstes. Ein Auflehnen gegen das Erstarren rundherum. Klare Worte, harte Formulierungen, bildhafte Gleichnisse. Auftakt zu weiteren Episoden.

Episoden wie „Meds“: Ein Mensch mit der Sucht nach Aufmerksamkeit und der Suche nach Erfolg wird gleichzeitig abgestoßen von denen, die ihm den Erfolg und die Aufmerksamkeit ermöglichen. Oder die Frage nach unserem Konsum-Verhalten, unserer Konsum-Abhängigkeit, in „Zombie Nation“.

Andere Episoden: Ein „Engel“ der Schwarzen Szene regt einen braven Studenten zum Ausbruch aus fremdbestimmten Erziehungsdenken. Ein Monolog beim Psychiater – es geht um „Brot und Spiele“, um die sich aneinanderreihenden bewussten täglichen Dummheiten, um Verdrängtes und Bitternis, um Erkenntnisse ohne Konsequenzen. In „Famous Last Words“ stellt ein etablierter Autor einem jungen aufstrebenden gleichwohl vollkommen erfolglosen Autor zehn Regeln auf. Wobei bereits die Regel Nummer 1 vergessen wird: „Frage zu Beginn eines Gespräches immer gleich nach, ob du das Problem lösen sollst oder ob nur darüber geredet werden soll.“

Aus einem jugendlichen Aufbegehrer wird unweigerlich und beinahe „alternativlos“ ein pflichtbewusster angepasster alternder Erwachsener. Durch die Berührung mit der Welt wird Tag für Tag ein Stück der Jugend und ein Stück des Rebellierens aufgeweicht, abgetrennt. „Eine Armada von Zombies geistert seit Jahrtausenden durch die Welt, erpicht darauf, die Feuer in den Herzen der Menschen auszutreten, weil die Flammen in ihnen selbst erloschen sind.“ (aus der Episode „Desperate Youth“)

Anschließend ein Gedicht:

„Wir sind gegen den Strom, gegen Konfrontation,
gegen Empörung und gegen Verstand,
gegen Denker und Dichter und Almosenverzichter,
gegen den Biss in die fütternde Hand.“

Während in den anderen Strophen das „Gegen-alles-sein“ fortgeführt wird, ein bitterer Schluss:

„Wir sind gegen den Krieg.
Doch Geiz ist so geil.
Bald brüll´n alle nur ‚Sieg!‘
Und keiner mehr ‚Heil!‘“

Lasse ich dieses „Gegen“ mal langsam in mich sickern, ziehe ich schaudernd die Schultern hoch; leider trifft es mich nadelstichweise. Ich bin auch irgendwie „Gegen“. Oder nicht?

Die Episode „In a Manner of Speaking“ spielt auf einer Lesebühne. Auf dieser wird beispielsweise das Gedicht von Horst vorgetragen. Doch das ist nur der Schnörkel um das Eigentliche – eine Anklage gegen eine Abgabenordnung, die den „kleinen“ Künstlern die Luft zum Atmen nehmen und die Clubs sterben lassen. Zuhälterei nennt der Redner das. 20 Jahre als DJ und Veranstalter geben ihm das Recht dazu. Ein Feldzug geben die GEMA, die recht mörderische Ideen hat. Diese Episode ist die Grabrede auf die Szeneclubs. „Wenn die Kostenschraube aus Strom, Heizung, Versicherung, KSK, GEMA, Genossenschaft, Steuern und, und, und sich so weiterdreht, wird man das nicht einmal mehr auf die Getränkepreise umlegen können. Glaubt mir: Soviel könnt ihr gar nicht Saufen!“ Das macht Angst. Wohin gehen Kostendruck und Reglementierung? Unabänderlich, unaufhaltsam dem Abgrund entgegen.

Der ausführliche Gedankenmonolog in „Smalltown Boy“ stimmt zusätzlich nachdenklich. Pessimistisch, verloren. „Eigentlich ist es lustig, aber doch auf irgendeine Art traurig, dass die Träume, in denen ich gestorben bin, die besten waren, die ich jemals hatte.“ Eine grausliche Einsicht. Kommt diese mir bekannt vor? Egal, der Nachdenkliche ist auf dem Weg nach – auch wenn keine namentliche Erwähnung erfolgt – Kreuzmühle. Hier treffen ein junger Idealist, der noch Träume und Illusionen hat und der 15 Jahre ältere Zyniker – einer Szenegröße, den die Erfahrungen der Realität desillusioniert haben – aufeinander. Ein Dialog zwischen den beiden in der Episode „Welcome to Paradise“ lässt den Älteren sage: „Ich will herausfinden, was bleibt, was wirklich wichtig ist, jetzt, da wir alles haben, wovon wir vor 20 Jahren nur geträumt hatten. Das ist eine der unumstößlichen Tatsachen, die keiner akzeptieren will: Wir haben alles, was damals unmöglich schien. Wir sind akzeptiert, in der Mitte dieser uns so verhassten Gesellschaft angekommen. Niemand verachtet uns. Unsere Verkleidung ist komplett in der Modeindustrie aufgegangen.“ Ja, stimmt. Wir waren so froh, als man anfing, uns zu dulden, dass wir die schleichende Vereinnahmung nicht bemerkten. Was hätte man anders machen sollen?

Dann der Zufall: der Zyniker wird überwältigt von der Stimme einer jungen Frau. Eine Hoffnung, ein Stern im Dunkel. Alles ist offen. Die Szene ist tot? Es lebe die Szene? Genießen wir den Augenblick

„Gespräche mit Goth“ – Wenn ich alles zitiert hätte, was mir wichtig erschien, hätte ich das Buch abschreiben müssen. Ja, es sind zornige, traurige, pessimistische Episoden. Hervorragend formuliert sprechen mich die Texte an, sie gehen unter die Haut. Ich blicke zurück auf das, was war. Oder was hätte sein können. Und wie wird sich die Zukunft präsentieren? Die Szene, die Clubs, die Musik? In diesem Buch verweben sich die Wege der Protagonisten, die irgendwie „anders“ sind. Hoffnungslose und Hoffnungsvolle.

Wem empfehle ich diese Episodensammlung? Kritischen Menschen, die auch mit Selbstreflexion umgehen können. Jungen Menschen, die den Spruch „Früher war alles besser“ widerlegen wollen. Und älteren Menschen, die immer noch hoffen, dass dieser Spruch nicht stimmt.

Über den Autor Thomas Manegold:

„Thomas Manegold wurde 1968 im Thüringer Wald geboren. Seitdem kämpfte er sich in immer dichter besiedelte Gebiete vor. 2004 ist er in Berlin angekommen. Weils nicht dichter geht, wird er hier bleiben. Unterwegs hat er viel über Musik geschrieben, anderen Menschen Musik vorgespielt, in WGs gewohnt, selber Musik gemacht, Alkohol verkauft und ein paar Bücher geschrieben. Aus denen liest er manchmal vor. Er ist bekennender Workaholic und weil das unheilbar ist, arbeitet er rund um die Uhr – für zwei Lesebühnen und als Produzent, Admin und VisdP bei Periplaneta und Subkultur.
Vor Thomas Manegolds Einstieg bei Periplaneta sind sein Pamphlet ‚Ich war ein Grufti‘ und sein Gedichtband ‚Himmelsthor‘ als Taschenbücher erschienen. Seit 2008 erscheinen nun alle weiteren Publikationen bei Periplaneta.“

Buch, Softcover 170 Seiten, 19 × 13,5 cm
ISBN print: 978-3-943412-06-2
ISBN eBook: 978-3-943412-56-7

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