Thomas Manegold – Rattenfänger

Dieses Machwerk, wie es der Autor selbst nennt, ist untertitelt mit den Worten „Gehirnwäsche Lyrik Propaganda“, gewidmet „Den Opfern der Dummheit“. Und ja, da muss sich der unvoreingenommene Leser/ Hörer schon auf einiges gefasst machen.

Thomas Manegold über sich:
„Thomas Manegold wurde 1968 im thüringischen Saalfeld geboren. Er lebt und arbeitet als freier Mediengestalter, Autor und Künstler überwiegend in Berlin. Er ist Gründer und war Chefredakteur der Zeitschrift und Community ‚subKULTUR’. Er ist Mitbegründer und Organisator der ‚Obscuren Nächte’ in der Szene-Hochburg Top Act Zapfendorf. Sein erster Lyrikband ‚Sonnentod’ ist 1999 erschienen. Die erste Auflage seines bekannten Pamphlets ‚Ich war ein Grufti’ erschien 2006, kurz darauf der Lyrikband ‚Himmelsthor’. Danach fand Thomas Manegold bei ‚Periplaneta’ eine feste Heimat als Autor und Produzent und veröffentlichte dort den Kurzgeschichtenband ‚Morbus Die’ und das Hörbuch ‚Rattenfänger’. Seitdem arbeitet er Tag und Nacht für den Verlag ‚Periplaneta’, das ‚Silbenstreif Studio’, die Lesebühne ‚Vision und Wahn’ und für die Idee einer neuen Künstler- und Denkergemeinschaft. Anlässlich der Lesereise ‚Zungenspiel’ wurden 2010 ‚Himmelsthor’ und ‚Rattenfänger’ in erweiterter und überarbeiteter Auflage als Bücher mit CD neu aufgelegt. Mehr Informationen gibt es im Weltnetz unter www.manegold.de“

Das „Rattenfänger“-Buch versammelt in sich 6 Kurzgeschichten und 11 Gedichte. Und es sind keine „netten“ Geschichten, sondern bissig-satirisch-ironisch wortwenderische Spiegel. Und es sind auch keine Gedichte, welche man mit einem goldfarbenen Stift und Herzklopfen in ein Poesiealbum abschreibt.

Auf der CD liest Thomas Manegold unter anderem die Rattenfängergeschichte und auch einige Gedichte. Teilweise mit Sound-Hintergrund. Kleine Pretiosen als Draufgabe lassen sich auch finden.

Die Kurzgeschichten:
Rattenfänger:
Die Stadt Hameln, das Rattenproblem, die Bürger wollen sich sowohl des Problems als auch des unbelohnten Rattenfängers entledigen, das Verschwinden der Kinder – ist die Geschichte jetzt wieder klar und deutlich im Kopf? Gut. Und nun treten wir einen Schritt zurück und betrachten unsere Welt von außen. Auch unsere Kinder „verschwinden“. Und hier setzt Thomas Manegold an. Denn Kinder laufen doch nicht einfach so weg. Da gibt es Ursachen, Hintergründe, Führer und Verführer. Warum entgleiten uns unsere Kinder? Wer schon dem niedlichen Alter entwachsene Kinder hat, dürften solche Gedanken nicht fremd sein. In dieser Geschichte wird viel Übel angesprochen.

Wahlkrampf:
Ich gebe es ohne Folter zu: ich habe gewählt. Was, weiß ich nicht genau. Aber wenn ich es wüsste, was hätte ich davon? Oder andere? Was wäre, wenn ich etwas anderes gewählt hätte? Oder gar nicht? Es wäre alles so, wie es jetzt ist. Nur mit anderen Farben. Austauschbare Gesichter, Gesten, Gebärden. Aber der Wahlkampf sollte uns – uns, den mündigen Bürgern – doch eigentlich etwas vermitteln. Klarheit, Programm, Unterschiede. Oder auch nicht. Wahlkrampf und die Folgen. Thomas spricht hier die unangenehme Wahrheit an.

Dark Room:
In einer Zeit vor der „Digi-Cam“ gab es solche Apparate, in welche man kleine Rollen legte. Filme. Lichtdicht verpackt. Wenn man gut war, bekam man 36 Bilder. Abbilder dessen, was man mehr oder weniger gewollt vor dem Objektiv hatte. Damals brauchte man einen Dark-Room, eine Dunkelkammer, die Zauberkammer, in welcher aus kleinen verpackten Rollen Fotografien auf Papier wurden. Analoge Fotografie – ein Relikt aus einer Zeit, in welcher das Fotografieren noch als Kunst galt (ich meine nicht „knipsen“). Heute: einmal Klick und 100 Aufnahmen sind auf der Speicherkarte. Und dann… am PC bearbeiten. Manipulierte Wirklichkeiten. Jeder bastelt sich seine Traumwelt. Oder auch eine Albtraumwelt.

Eiertanz:
Eier, Hose, Käfig, Plattenbauten, Vegetarier, Veganer, Eier aus eigener Herstellung (großes Fragezeichen) und die Frage: warum legt das Huhn jeden Tag ein Ei. Aus diesen Eck-Worten eine Geschichte erschaffen. Gut, im Kopf purzeln jetzt die Worte durcheinander, neue Worte fügen sich hinzu, und schon ergibt sich eine Parallele zwischen Hühnern und Menschen und deren Beziehung untereinander und zueinander. Das klingt alles noch irgendwie nett? Nein, nein. Erst lesen. Dann vergeht einem das Lachen. Ach ja, die Überlegungen zum täglich-ein-Ei-legenden Huhn sind zum Gesichtszügeentgleisen – für solche Gedanken (ähnlich formuliert) wäre ein Berliner Ex-Politiker fast gesteinigt worden.

Isabell:
Wildschafe kann man sich in der Regel nur in Zoologischen Gärten anschauen. Sofern man nicht als Globetrotter und Bergsteiger unterwegs ist. Es gibt Schafe unterschiedlichster Wolligkeit und Größe, mit kleinen oder großen Hörnern. Alle machen „Böh“ oder „Mäh“. Und alle haben einen recht knuffigen Po. Das hat in der freien Wildbahn seinen Sinn. Aber ein „Nutztier“ macht für seinen Besitzer nur einen Sinn: Wolle, viel verwertbare Wolle. Und da begannen die Interessenkonflikte zwischen Schaf und Mensch. Ich gebe zu, dass mir diese Geschichte neue Informationen geliefert hat. Über Schafe. Dass Menschen ihre Mitgefährten juristisch als Sache betrachten, war mir bekannt. Und was macht der Mensch mit Sachen, die nicht richtig passen?

Einsatzbefehl:
Unter Globalisierung kann ich mir etwas vorstellen. Alles soll in allen Ländern irgendwie gleicher werden. Diese Gleichwerdung findet aber schleichend innerhalb der Gesellschaft statt. Ob dies immer sinnvoll ist, wage ich zu bestreiten. Mädchen sollen wie Jungs sein, Jungs sollen wie Mädchen sein (Mist, ich liebe den Unterschied!). Behinderte sollen alles das machen können, was Nichtbehinderte machen. Natürlich sollen Behinderte ihre Chancen haben. Die Betonung liegt auf „ihre“. Doch seit der Erfindung von Quoten-Frauen, Quoten-Ossis, Quoten-Immigranten, Quoten-Behinderten scheinen bei einer Bewertung nicht mehr die persönlichen Fähigkeiten ausschlaggebend zu sein, sondern das Was-bin-Ich. Im „Einsatzbefehl“ geht Thomas dieser Auf-den-Kopf-gestellte Gleichmacherei sehr bissig-ironisch an.

Die Gedichte sind leise und laut, traurig und zornig, klar und verschlüsselt. Mindestens zweimal lesen oder hören ist Pflicht. Bis sich dann aus den Wortreihungen in einem selbst ein Bild entwickelt. Ein „mulmiges“ Gefühl vermittelt: das kenne ich, das sehe ich jeden Tag, das dröhnt unentwegt in meinen Ohren. Sicherlich werden die Worte in jedem Leser unterschiedliche Empfindungen hervorrufen. Aber eines macht uns Tom klar: das ist das Jetzt, das Heute. Das ist eure, unsere Welt. Wir alle sind die beschriebenen Menschen. Und es ist wahrlich kein freundlicher Spiegel, in welchen wir blicken. Leider. Leider haben wir uns alle diesen Spiegel selbst erschaffen. Ein Spiegel aus Worten in nachdenklich-kritischen Gedichten für nachdenklich-kritische Leser.

Die Titel der Gedichte:
Heilung
Menschwerdung
Methadon
Jerusalem
Karthago
Sodom
Ghomorra
Golgatha
La nuit Obscure
Desillusion
Subhumanity

„Rattenfänger“ ist keine Lektüre, um am Hotel-Pool nahe „Ballermann“ von seinen Wohlstandsproblemen abzulenken. Aber wer seine eigenen Gedanken mal fremdformuliert und frei von Gutmenschendenken lesen will – nur Mut und schnell den „Rattenfänger“ einfangen.

Achtung: Sollten aufgrund der Lektüre eigene Illusionen und Träume beschädigt werden, übernimmt der Rezensent keine Haftung.

Periplaneta – Verlag und Mediengruppe
www.periplaneta.com
ISBN: 978-3-940767-47-9

www.manegold.de
www.myspace.com/manegold

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert