Thomas Sabottka – Land, Luft & Leichenschmaus

Verrückt, absolut verrückt. 258 Seiten. Und auf Seite 252, also fast am Ende der Geschichte: „Einen Arbeitstitel gibt es auch schon: ‚Land, Luft & Leichenschmaus‘. Klingt doch nach einem Buch, das man gerne mal lesen will, oder?“

Was war zuerst da? Die Geschichte oder das Buch? Aber bis zur Seite 252 hatte ich mich durch die apokalyptische Idylle eines brandenburgischen Dorfes im Speckgürtel Berlins gefressen und da konnte mich nichts mehr erschüttern. Brieskau-Finkenwalde ist der Handlungsort. Und die Geschichte des Dorfes wird sogar in einem Extra-Kapitel kurz umrissen. Den Eckdaten der Historie der Mark Brandenburg sehr angelehnt. Gründung, Entwicklung – sogar ein nicht verwesender Ritter in seiner Gruft wird erwähnt. Da drängen sich schnell Vergleiche auf. Ebenso tauchen nicht ganz unbekannte Namen wie beispielsweise Horst Krause auf, seines Zeichens nach Polizeioberwachtmeister, mit einem alten russischen Motorrad und beachtlichen Leibesumfang in etwas knapp geratener Uniform. „Entstehende Ähnlichkeiten wären rein zufällig.“ Auch ein Michael Brunner darf mitspielen. Aber: die Charaktere sind letztendlich doch anders angelegt.

Der Klappentext:
„Beschauliche Einfamilienhäuser, gepflegte Blumenrabatten, nette, anständige Leute… Doch die Ankunft eines schwarz gekleideten Fremden löst eine Kette von unheimlichen Ereignissen aus, die tief in die Vergangenheit des Städtchens führen. Denn jeder hat eine Leiche im Keller. Und es werden immer mehr.
Thomas Sabottka versetzt in einer kolkrabenschwarzen Mixtur aus Heimatkrimi, Mysterythriller, Spargelwestern und Horrorkomödie ein domestiziertes Dorf in der ostdeutschen Prärie in Angst und Schrecken.“

Brieskau-Finkenwalde mit Alteingesessenen und Wendegewinnern und gutbetuchten Berlinflüchtlingen in der Sommerhitze. Langeweile, Tratsch, Heimlichkeiten. Überzogen gezeichnete Personen und doch gar nicht so sehr erfunden. Und es gibt eine Vergangenheit, über welche ein dunkler Schleier des Nicht-dran-Denkens liegt. Geld und Macht – die Triebkraft für alles Geschehen. Und es geschieht viel in Brieskau-Finkenwalde. Fast zufällig, eher so nebenbei, häufen sich die Leichen in der brütenden Hitze und der beschaulichen Ruhe. Wobei „häufen“ nicht so ganz der richtige Ausdruck ist. Also Leichen fallen nun häufig an, aber sie bilden keine Haufen. Was ich sagen will: man muss Leichen ja nicht unbedingt auf Haufen sammeln. Es gibt so viele andere Möglichkeiten der Entsorgung… Die ergeben sich einfach so.

Den Überblick behalten eigentlich nur die Kolkrabenbrüder, von denen einer uns schon vom Cover her anschreit.

Sie fliegen über gepflegte Gärten, Damenkaffeekränzchen, über den Wald und über Wildwiesen. Sie beobachten den Bürgermeister, die Vertreter der sommerferiengelangweilten Dorfjugend, den jugoslawischen Koch und alle anderen auch. Sie bringen auch kleine Zettelchen von hier nach da. Wer hat sie geschrieben?

Die Ereignisse überschlagen sich. Absurde Begegnungen, bizarre Unfälle. Und alle ehrenwerten Bürger sind miteinander verflochten. Der Bürgermeister wird’s schon richten… Und alles läuft in einer rasanten Geschwindigkeit ab. Die seltsamen Todesfälle scheinen wie von den apokalyptischen Reitern in jedes Haus gebracht zu werden. Schwarz, düster, Horror? Eher schwarz, düster, Humor. Ich kam aus dem Lesen nicht heraus und aus dem Grinsen auch nicht. Fachmännisch habe ich die … wie sagt man… Totmachaktionen durchdacht und die Problematik des Totenloswerdens überlegt. Wunderbar.

Aber in Brieskau-Finkenwalde ist ansonsten alles gut, alles schön, alles ruhig, alles in Ordnung – zwischen Boutique, Bäckerei, Goldenem Hirsch, Marktplatz, Gärtnerei und Kirche.

Der Bürgermeister sorgt für Ordnung, der Polizist ist beim Essen, der junge Pfarrer hat wenig zu tun, ein Heavy-Metal-Sänger besucht seinen Heimatort, ein entlassener Neonazi hat unschuldig gesessen, die Dorfjugend ist durchgeknallt, die feinen Damen sind beschäftigt – um nur Einige zu nennen. Und am allerliebsten würde ich genüsslich die „Fälle“ schildern – aber dann würde ich zu viel verraten. Verraten sei nur, dass die täglichen lokalen Nachrichten hier den Bodensatz bilden. Verscharrte Babys, Kinderpornographie, Ufos und Irrlichter, Wellnesscenterplanung, Walddorfschullehrer und eine seltsame alte Dame – die Hexe mit den beiden Raben. Und immer wieder erwähnt wird der imaginäre „rosa Riese“, ein leider nicht weggesperrter Triebtäter. Der sich aber nicht an dieser Orgie des Tötens beteiligt.

Das Finale ist dann aber ein wirklich großartiger und öffentlicher Auftritt. In einem wie Gottes Strafe wirkenden Gewitter gehen die Schüsse unter und im Blitz zerbirst das moderne monströse metallene Kunstwerk mit streuenden Splittern. Diese mischen sich mit dem Getacker aus zwei Maschinenpistolen. Ein grandioser Untergang.

Dann ein schöner Sommermorgen, die Großbeerdigung war beeindruckend. Die braven Bürger gehen wieder friedlich ihren Tagesbeschäftigungen nach. Der Bürgermeister sorgt für Ordnung.

Diese kleine Welt ist die Kompaktversion des Speckgürtels. Und Herr Sabottka beschreibt so flapsig leicht und unaufgeregt die bürgerlichen Abgründe, dass es die reine Freude ist. Gut und Böse relativieren sich in den trockenen und akribischen Zeichnungen der Charaktere. Slapstick in Schriftform. Umwerfend schwarzhumorig. Und trotzdem… steckt auch auch ein gewisses Unter-den-Teppich-Gucken drin.

Mir hat das Buch jedenfalls riesengroße Freude bereitet.

Buch, Softcover 260 Seiten, 19×13,5cm
ISBN print: 978-3-940767-99-8
ISBN eBook: 978-3-943876-34-5

»  Thomas Sabottka
»  Verlag Periplaneta

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