Nordic-Folk besitzt viele Facetten. Auf „Skald“ präsentieren „Wardruna“ eine in der heutigen Zeit so noch nicht gehörte: Sänger und Gründer Einar Selvik erschafft im Studio seine Version eines möglichst authentischen Skalden-Auftritts. Aber kann diese Art der Darbietung heute überhaupt noch überzeugen – zumal in Altnordisch, und nicht direkt und live auf der Bühne, sondern auf CD, Vinyl oder digital?
Das erste, was beim Hören auffällt, ist die Reduzierung. Man hört, dass man nichts hört – oder zumindest sehr wenig. Auf diesem Album geht es nicht um bombastische Arrangements, um Choräle und Orchester. Hier steht ein Mann mit seinem Gesang im Vordergrund. Die traditionellen Instrumente wie Kraviklyra und Tagelharfe, die bei einigen Songs hinzukommen, sind nicht mehr als schmückendes Beiwerk. Sie unterstützen den Gesang, die Erzählung, aber es ist einmal nicht die Musik, die erzählt, sondern die Stimme von Sänger Einar.
Doch was nützt es, einer Erzählung zuzuhören, die wir nicht oder nur in Ansätzen verstehen? Kann vielleicht die reduzierte Instrumentierung etwas zum Verständnis beitragen?
Ja und Nein. Gerade weil wir so viel nicht erfassen, sich diese Art von Musik und Darbietung nicht aufdrängt, bleibt ungewöhnlich viel Raum für eigene Bilder, eigene Interpretationen, ja, auch eigene Wünsche, Träume und Sehnsüchte. Lauscht man „Skald“, tauchen unweigerlich Bilder von dichtem Schneetreiben vor dem inneren Auge auf, von Langhäusern und warmen Feuern in rauen Winternächten. Es fällt leicht, sich den Sänger mit seinen Instrumenten am Lagerfeuer vorzustellen, umringt von Männern und Frauen, Kindern und Greisen, die seinem Vortrag lauschen.
Selvik kommt es auf die Darbietung an. Und auch, wenn das Album im Studio aufgenommen worden ist, steht doch die Unmittelbarkeit einer Aufführung klar im Fokus. Wer es schafft, sich auf diese Reduzierung einzulassen, kann einen ganz neuen Klangkosmos für sich entdecken, in dem sich die fremden Laute der eigentümlichen Sprache mit Gesang und Musik zu etwas ganz Neuem und doch sehr Altem vermischen. Vielleicht etwas Ruhigem, Meditativem. Etwas, das wir in unserer heutigen Zeit oftmals vermissen.
Dabei sind die einzelnen Stücke in ihrer Darstellung und Wirkung ganz unterschiedlich. Vor allem „Vindala“ entfaltet durch seine Geschwindigkeit und die Repetition der Worte einen unwillkürlichen Sog, während das abschließende „Sonatorrek“, ein Klagegesang, durch seine ewigen Wiederholungen über eine Viertelstunde lang schon mehr geistige Offenheit benötigt. Nur der erste Track, „Vardlokk“, wirkt mit seinen kräftig geblasenen Hörnern etwas dynamischer. Die melancholisch-kraftvollen Laute der Hörner, seltsam fremd und leicht unbeständig, klingen wie eine Einladung zurück in eine fremde Zeit. Folgt man der Einladung, findet man in den nächsten Stücken Teile der Völuspa vertont. Hier trägt Selviks Stimme weit fort, in die Welten der alten nordischen Götter und ihrer Geschichten. Dann kommen Werke historisch verbriefter Skalden an die Reihe. Das Stück „Skald“ ist nicht umsonst Titeltrack. Es thematisiert mit leichter Harfenuntermalung die Kunst an sich.
„Skald“ ist sicher nicht etwas für alle Wardruna-Fans, denn der Bombast früherer Alben fehlt komplett. Nicht ganz zu Unrecht ist es darum von einigen Kritikern als Soloprojekt Einar Selviks betitelt worden, das fälschlich unter dem Namen „Wardruna“ liefe. Doch ob Solotrip oder gelungener Neuorientierung nach den bisherigen bombastischeren Alben – „Skald“ bietet für Freunde experimenteller, mutiger Folkmusik gerade durch seine Reduzierung jede Menge Raum für ganz persönliche Entdeckungen.
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